In der belarussischen Hauptstadt Minsk erinnert seit 1964 eine Gedenkanlage mit 60 eingefassten Grabstätten an die bis zu 80.000 sowjetischen Kriegsgefangenen, die zwischen Juli 1941 und August 1944 im Stalag 352 umgekommen sind.
Geschichte
Nach schweren Zerstörungen durch Kampflieger besetzte die Wehrmacht am 28. Juni 1941 Minsk. Bei der Kesselschlacht um die belarussische Hauptstadt waren Zehntausende Soldaten der Roten Armee in Gefangenschaft geraten. Für die Unterbringung von etwa 100.000 Kriegs- und 40.000 Zivilgefangenen richtete die Militärverwaltung an der Eisenbahnverbindung Minsk–Molodetschno Anfang Juli 1941 das Stalag 352 ein. Das Lager bestand aus zwei Teilen: dem Waldlager nahe dem Dorf Masjukowschtschina und dem Stadtlager in Minsk auf einem früheren Militärgelände. Nach ihrer Ankunft wurden Kommandeure, politische Kommissare und vor allem Juden »ausgesondert« und erschossen. Das Stalag 352 nahm Gefangene aus praktisch allen Abschnitten der deutsch-sowjetischen Front auf und diente auch als Durchgangsstation auf dem Weitertransport etwa in das besetzte Polen oder das Deutsche Reich.
Die 21 Holzbaracken waren hoffnungslos überbelegt, 80 Prozent der Gefangenen hausten im Freien – auch im harten Winter 1941/42 bei bis zu minus 30 Grad. Weder war für sanitäre Einrichtungen gesorgt noch erhielten die Häftlinge ausreichend Nahrung. Willkürliche Prügelstrafen und Erschießungen waren an der Tagesordnung. Krankheiten brachen aus. Zwischen Dezember 1941 und März 1942 starben täglich bis zu 500 Soldaten. Bis März 1942 starben im Waldlager 55.000 Rotarmisten; im Stadtlager kamen bis Januar 1942 10.000 um.
Da die deutschen Besatzer ihre Arbeitskraft benötigten, wurden ab dem Sommer 1942 alle Überlebenden in Baracken untergebracht, die Bedingungen besserten sich. Von den ursprünglich bis zu 140.000 Häftlingen waren im Sommer 1942 noch bis zu 10.000 übrig, im Sommer 1943 lag die Zahl bei 5.000 bis 6.000 und im Januar 1944 bei etwa 5.000. Im Herbst 1943 – nach dem Ausscheiden Italiens aus dem Bündnis mit Hitler-Deutschland – wurden 5.000 italienische Militärinternierte in das Stalag 352 eingewiesen. Nur 98 von ihnen erlebten die Rückeroberung Minsks durch die Rote Armee im Sommer 1944.
Opfergruppen
Im Spätsommer 1941 befanden sich im Stalag 352 bis zu 140.000 Häftlinge – Rotarmisten und Zivilisten, von denen bis Juli 1944 etwa 80.000 umkamen. Von den 5.000 italienischen Militärinternierten, die im Herbst 1943 eingeliefert wurden, erlebten lediglich 98 ihre Befreiung durch die Rote Armee im Sommer 1944.
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Belarus
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 und dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen kam der Nordosten des Landes zu Belarus als Teil der Sowjetunion. Im Sommer 1941 wurde dann ganz Belarus von deutschen Truppen erobert. Während der folgenden drei Jahre kam jeder vierte oder gar jeder dritte Einwohner gewaltsam ums Leben. Fast alle Städte des Landes wurden völlig zerstört. Wehrmacht oder SS brannten etwa 620 Dörfer, darunter Chatyn, systematisch samt ihren Einwohnern nieder. Malyj Trostenez, nahe der belarussichen Hauptstadt Minsk, war die größte Vernichtungsstätte auf dem Gebiet der besetzten Sowjetunion. Heute nimmt man an, dass mindestens 60.000 deutsche und einheimische Juden dort ermordet wurden. Für Minsk wird die Zahl der getöteten Juden auf bis zu 85.000 geschätzt, für das gesamte Gebiet auf 230.000. Belarus bildete von 1941 an mit über tausend aktiven Gruppen ein Hauptgebiet des sowjetischen Partisanenkampfes gegen die deutschen Besatzer. Ab Ende 1943 wurde das Land von der Roten Armee zurückerobert und galt im Sommer 1944 als vollständig von der deutschen Besatzung befreit. Das Land war weitestgehend verwüstet, das gesellschaftliche Gefüge erschüttert und die Menschen traumatisiert.
Belarus gehörte ab 1944 wieder zur Sowjetunion. Ein großer Teil der 1939 einverleibten polnischen Gebiete blieben Teil des Landes. In der staatlichen Erinnerungs- und Denkmalkultur des Landes dominierten nach Kriegsende der Tag der Befreiung des Landes am 3. Juli 1944 und der Tag des Sieges am 9. Mai 1945 als Ende eines »heldenhaften« Kampfes im Großen Vaterländischen Krieg. Von zentraler Bedeutung war stets auch die Erinnerung an den Partisanenkrieg. Im sowjetischen Staatsverband verzichtete man auf eine eigenständige Nennung des Massenmords an den Juden. Daher stellt ein Obelisk in der Erschießungsgrube am ehemaligen Minsker Ghetto, der »Jama«, eine Besonderheit auf dem Gebiet der damaligen Sowjetunion dar. Er wurde bereits 1946 errichtet und blieb für Jahrzehnte das einzige Denkmal mit einer jiddischen Aufschrift und direkter Nennung der ermordeten Juden. Ungewöhnlich ist auch die Erinnerungsstätte in Chatyn, wo im März 1943 153 Menschen bei lebendigem Leib verbrannt worden waren. 1969 entstanden, zeichnet sie sich durch Schlichtheit aus und verzichtet auf die sonst übliche Monumentalität, es stehen die menschliche Dimension des Grauens und das Leid der Opfer im Vordergrund.
Mit der Schaffung eines unabhängigen belarussischen Staates 1991 begann die Suche nach einer eigenen nationalen Identität. Hierbei spielen die Opferzahlen – insbesondere während des Zweiten Weltkrieges – eine entscheidende Rolle. Bewusst wird allerdings eine Unterscheidung zwischen dem Gebietstand vor und nach 1939 vermieden. Die Verbrechen der Stalinzeit, aber auch der Holocaust rückten ebenso in das Blickfeld, wurden aber aufgrund der vorhandenen Regierungsform nicht weitergehend öffentlich gemacht. Das staatliche Gedenken, das seinen Ausdruck auch im 2014 eröffneten, monumentalen Neubau des Museums der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges findet, bleibt vom Kampf in den Jahren 1941 bis 1944 geprägt. Zugleich hat jedoch der Verband der jüdischen Gemeinden in Belarus inzwischen eine Reihe von Denkmälern für die Opfer des Massenmordes errichten lassen. Seit Anfang der 1990er Jahre haben mehrere deutsche Städte Stelen im Gedenken an die dorthin deportierten und getöteten Juden in Minsk errichtet; das Berliner Erinnerungszeichen wurde – vom Land Berlin und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas finanziert – am 25. Juni 2009 feierlich eingeweiht. Auch eine würdige Gestaltung des Areals von Malyj Trostenez geht voran: seit 2015 erinnert eine Gedenkanlage an die Opfer. Ein zweiter Bauabschnitt wurde 2018 im Beisein der Staatspräsidenten Deutschlands, Österreichs und von Belarus eröffnet. An der Realisierung beteiligte sich auch die Bundesrepublik finanziell, wie auch an der Renovierung der Geschichtswerkstatt, die sich in einem historischen Gebäude auf dem Gebiet des ehemaligen Minsker Ghettos um die Dokumentation von Opferschicksalen kümmert.
Erinnerung
Ab Herbst 1944 wurden die Massengräber der bis zu 80.000 Toten des Stalag 352 in einen würdigen Zustand gebracht. Quellen berichten, dass sich dort zeitweilig auch ein Lager für Kriegsgefangene der Wehrmacht befunden hat.
Aus Anlass des 20. Jahrestages der Befreiung der Stadt Minsk am 3. Juli 1964 entstand auf dem Gelände des Waldlagers des Stalag 352 eine eingezäunte Gedenkanlage mit einer Ewigen Flamme, 60 eingefassten Grabstätten und einem Pavillon, in dem ein Erinnerungsbuch mit 9.425 Namen sowjetischer Kriegsgefangener auslag. Seitdem finden jährlich Gedenkveranstaltungen statt – am 9. Mai, dem »Tag des Sieges«, und am 3. Juli, dem Tag der Befreiung Minsks und heutigen belarussischen Nationalfeiertag der Unabhängigkeit. Hinter Glas liegt mittlerweile eine steinerne Replik des Buches. Seiten aus dem Original mit Opfernamen werden als Dauerprojektion im Staatlichen Museum des Großen Vaterländischen Krieges in Minsk gezeigt. Ergänzende Informationen am historischen Ort fehlen, ebenso wie ein Hinweis auf die italienischen Opfer.
Etwa neun Kilometer weiter östlich, mitten in einem Wohngebiet erinnert ein Denkmal am ehemaligen Standort des Stadtlagers an die Opfer.
Öffnungszeiten
Die Gedenkanlage und das Denkmal am Ort des Stadtlagers sind jederzeit zugänglich.