Seit Herbst 2014 erinnert in Berlin auf dem Vorplatz der Philharmonie ein Gedenk- und Informationsort an die zehntausenden Menschen, die Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Verbrechen wurden. An diesem historischen Ort beschlossen und organisierten die Nationalsozialisten unter dem Decknamen »T4« das Programm zur Tötung geistig und körperlicher behinderter Menschen.
In der Berliner Tiergartenstraße 4 befand sich ab April 1940 die Zentrale für die Organisation, die unter dem Decknamen »T 4« – oder schlicht »Aktion« – den Massenmord an Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten im Deutschen Reich initiierte, koordinierte und durchführte. Über 70.000 Menschen fielen ihm zum Opfer, bis die Aktion am 24. August 1941 aufgrund öffentlicher Unruhe unterbrochen wurde. Das Morden begann bereits mit Kriegsbeginn im September 1939 und wurde sowohl nach dem »Euthanasiestopp« im August 1941 als auch mit dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 im gesamten Deutschen Reich und in vielen besetzten Gebieten, insbesondere im Osten, fortgesetzt. Die Erfassung, »Selektion« und Tötung der Anstaltspatienten war die erste zentral organisierte und systematische Massenvernichtung von Menschen durch die Nationalsozialisten. Dabei stellt »T 4« nur einen Teilkomplex des Gesamtverbrechens gegen Anstaltsbewohner dar. Die Forschung geht derzeit von insgesamt 300.000 Opfern des sogenannten Euthanasie-Programms in Europa aus. Allerdings liegen verlässliche Zahlen insbesondere für Osteuropa noch nicht vor.
Über 70.000 überwiegend geistig und körperlich behinderte Menschen ermordeten Pfleger und Ärzte in den Jahren 1940/41 in den sechs Tötungsanstalten. Nach der offiziellen Einstellung des »T4«-Programms wurden schätzungsweise zwischen 10.000 bis 20.000 weitere Menschen im Rahmen der »Sonderbehandlung 14 f 13« getötet. Wissenschaftliche Quellen gehen von bis zu 200.000 Opfern allein in Deutschland aus, die im Rahmen des »Euthanasie«-Programms insgesamt ermordet wurden. Neben Patienten von Heil- und Pflegeanstalten sind in dieser Zahl auch nicht mehr arbeitsfähige oder unerwünschte KZ-Häftlinge, erkrankte Zwangsarbeiter, jüdische Patienten, Zeugen Jehovas, Alkoholiker, Prostituierte und sogenannte Unangepasste inbegriffen. Tausende Frauen wurden zudem aufgrund des »Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« seit 1934 zwangssterilisiert.
Die Zahl der außerhalb Deutschlands ermordeten Patienten ist bis heute unklar.
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Das Gebäude in der Tiergartenstraße 4, in dem sich ein Teil der »T4«-Behörde befand, existiert nicht mehr. Die Ruinen der von Bomben getroffenen Villa wurden in den 1950er Jahren abgerissen. Heute steht auf diesem Gelände der Kammermusiksaal der Philharmonie.
Im Zuge einer Ausstellung kam 1987 die Skulptur »Berlin Curves« Richard Serras nach Berlin. Sie besteht aus zwei geschwungenen, aufrecht stehenden Stahlwänden, die parallel zueinander gestellt einen kleinen Durchgang freilassen. 1988 kaufte der Berliner Senat das Kunstwerk mit der Absicht, es zu einem Mahnmal für die »Euthanasie«-Opfer umzuwidmen. Seitdem steht »Berlin Curves« als umstrittenes »Euthanasie«-Denkmal auf dem Vorplatz der Philharmonie. In unmittelbarer Nähe befindet sich eine in den Boden eingelassene Gedenk- und Informationstafel, die den Bezug der umgewidmeten Skulptur zu den Opfern der »T4«-Aktion herstellt.
Pläne zur Neugestaltung des Gedenkortes wurden seit den 1990er Jahren diskutiert. Im November 2011 beschloss der Deutsche Bundestag, einen »Gedenkort für die Opfer der NS-›Euthanasie‹-Morde« am historischen Ort der Planungszentrale zu errichten. Das Land Berlin lobte daraufhin einen Gestaltungswettbewerb aus. Der Siegerentwurf der Architektin Ursula Wilms sowie des Künstlers Nikolaus Koliusis und des Landschaftsarchitekten Heinz W. Hallmann umfasst eine transparente blaue 24 Meter lange Glaswand, die auf einer zur Mitte leicht geneigten dunklen Fläche aus anthrazitgefärbtem Betonbelag verläuft. Eine begleitende Freiluftausstellung informiert über die Geschichte der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde mit ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart hinein. Der Gedenkort wurde am 2. September 2014 der Öffentlichkeit übergeben. An der Planung und Umsetzung waren die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas unter Einbeziehung der Stiftung Topographie des Terrors beteiligt.
Der Gedenkort ist jederzeit zugänglich
info@stiftung-denkmal.de
+49 (0) 30 263 943 0
Tiergartenstraße/Herbert-von-Karajan-Straße
10785 Berlin