»Euthanasie«-Gedenkstätte Brandenburg

»Euthanasie«-Gedenkstätte Brandenburg


Seit 1997 erinnern mehrere Stelen in der Stadt Brandenburg an der Havel an die »Euthanasie«-Morde des Jahres 1940. Innerhalb weniger Monate wurden hier in einem als Landes-Pflegeanstalt getarnten Gebäude im Rahmen der »T4«-Aktion tausende geistig und körperlich behinderte sowie psychisch kranke Menschen ermordet. 2012 wurde eine neue Gedenkstätte eingeweiht.

Geschichte

Der Begriff »Euthanasie« bezeichnete in der Zeit des Nationalsozialismus die Ermordung von Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen. Geplant und organisiert wurde der Mord an den Patienten von Heil- und Pflegeanstalten von einer unmittelbar Adolf Hitler unterstellten Organisation im Hauptamt II. Sie erhielt nach ihrer Adresse in der Berliner Tiergartenstraße 4 die Tarnbezeichnung »T4«. Nachdem anfangs Kleinkinder bis zu drei Jahren der »Euthanasie« zum Opfer fielen, weitete sich die Tötung in der Folgezeit auf ältere Kinder und Jugendliche, ab 1940 unter dem Decknamen »Aktion T4« auch auf erwachsene Behinderte und Kranke aus. Die Tötung erfolgte in der ersten Phase durch Nahrungsentzug, Gift und Medikamente. Ab Januar 1940 wurden in immer mehr »T4«-Anstalten Gaskammern in Betrieb genommen.
Zu diesem Zeitpunkt hatten in Brandenburg bereits »Probevergasungen« im Rahmen der »T4«-Aktion stattgefunden. Bei den Versuchen wurde einer Gruppe von psychisch Kranken Spritzen mit einem giftigen Wirkstoff verabreicht, eine andere Gruppe wurde mit Gas erstickt. Die mit der »Vernichtung lebensunwerten Lebens« beauftragten Ärzte entschieden sich für die zweite Variante, nachdem sie feststellten, dass der Tod bei den mit Gas erstickten Patienten schneller eingetreten war als bei denen, die durch Giftspritzen getötet wurden. Wenige Tage nach diesem Versuch begannen in Brandenburg Ärzte und Pflegekräfte mit den Tötungen. Zu diesem Zweck war das Gelände des ehemaligen alten Zuchthauses von Brandenburg mit einer Gaskammer und fahrbaren Verbrennungsöfen ausgestattet worden. Die Opfer stammten zu einem großen Teil aus Anstalten aus der Region Berlin, Brandenburg und Sachsen. Nach einer kurzen ärztlichen Untersuchung wurden sie in der als Duschraum getarnten Gaskammer erstickt, ihre Leichen wurden danach verbrannt. Der Rauch dieser Verbrennungen schürte Misstrauen bei den Einwohnern der Stadt. Die »T4«-Behörde veranlasste im Oktober 1940 die Auflösung der Anstalt.

Opfergruppen

Insgesamt erstickten Ärzte und Pfleger in Brandenburg im Rahmen der »T4«-Aktion von Januar bis Oktober 1940 mehr als 9.700 Menschen mit Gas. Unter den psychisch kranken und körperlich behinderten Männern, Frauen und Kindern, die in Brandenburg ermordet wurden, befanden sich auch ungefähr 400 jüdische Patienten. Juden wurden in der »Euthanasie« auch bei kleineren Behinderungen überproportional oft zur Ermordung bestimmt. Die Opfer stammten aus Heil- und Pflegeanstalten aus Berlin, Niedersachsen und Hamburg. Die letzten »Euthanasie«-Opfer in Brandenburg waren Kinder aus der Landesanstaltsklinik Görden. Nach der Beendigung der »Euthanasie«-Morde in Brandenburg veranlasste die »T4«-Behörde die Überstellung von Patienten der Region in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt nach Bernburg. Hier waren die Umbauten zur »T4«-Anstalt im Oktober 1940 vollzogen worden.

Erfahre mehr über Deutschland

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Im Januar 1997 wurde der Gedenkort in Form von mehreren Stelen auf dem Gelände des alten Zuchthauses eingeweiht. Sie informieren seither Besucher durch Texttafeln über die »T4«-Aktion und -Opfer in Brandenburg. Der Gedenkort entstand durch die Unterstützung der Stadt Brandenburg, der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, des Zentralrates der Juden in Deutschland und dem Bund der »Euthanasie«-Geschädigten und Zwangssterilisierten. Im Jahr 2003 wurden die an den Stelen angebrachten Informationstafeln inhaltlich überarbeitet. Verantwortlich für den Gedenkort sind die Mitarbeiter des Heimatmuseums der Stadt Brandenburg. Das Gebäude, in dem sich im 19. Jahrhundert das Alte Zuchthaus, ab 1933 ein frühes Konzentrationslager und im Jahr 1940 die »T4«-Anstalt befand, übergab die Stadt Brandenburg am 1. Oktober 2009 an die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Zudem wurde in der Ortschaft Paterdamm, etwa 5 km vom Stadtkern entfernt, am Ort von Leichenverbrennungen eine Gedenktafel errichtet.
Nach langjähriger Planung konnte die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten im Jahr 2012 eine neue Gedenkstätte einweihen. Die Dauerausstellung befindet sich Alten Zuchthaus. Die Stadt Brandenburg galt bis dahin als die einzige unter den sechs Standorten ehemaliger »T4«-Anstalten in Deutschland, in dem sich noch keine derartige Gedenkstätte befand.

Angebote

Führungen, Studientage, Projekttage in Deutsch, Englisch und Leichter Sprache.

Öffnungszeiten

Donnerstags und freitags 13.00 bis 17.00, samstags und sonntags 10.00 bis 17.00.
Die Stelen sind jederzeit zugänglich.

Kontakt

https://www.brandenburg-euthanasie-sbg.de/

brandenburg@stiftung-bg.de

+49(0)3381 793 511 2

Nicolaiplatz 28
14770 Brandenburg an der Havel