Im Zentrum der ukrainischen Stadt Drohobytsch (polnisch: Drohobycz), gelegen in der Landschaft Galizien, erinnert ein Denkmal an die Opfer der deutschen Besatzung. Von 1941 bis 1943 ermordete die SS und andere deutsche Einheiten fast alle jüdischen Einwohner von Drohobytsch. Die ehemalige jüdische Geschichte der Stadt ist bis heute auf vielfältige Art und Weise im Stadtbild präsent.
Drohobytsch, damals in der Provinz Galizien der Österreich-Ungarischen Monarchie gelegen, erlebte ihre Blütezeit Ende des 19. Jahrhunderts, als in der Region Erdöl entdeckt wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte Drohobytsch zu Polen. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg lebten etwa 15.000 Juden in der Stadt, etwa vierzig Prozent der Gesamtbevölkerung, die beiden anderen großen Bevölkerungsgruppen bildeten Polen und Ukrainer. Im September 1939 wurde die Stadt nach dem Hitler-Stalin-Pakt durch die Sowjetunion annektiert. Danach flohen zusätzlich einige hundert Juden aus den deutsch besetzten Gebieten Polens nach Drohobytsch.
Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion besetzte die Wehrmacht Drohobytsch am 30. Juni 1941. Bereits am nächsten Tag verübten lokale Ukrainer mit Unterstützung der Wehrmacht ein Pogrom, bei dem sie 300 Juden ermordeten. Das besetzte Gebiet kam unter eine Zivilverwaltung und wurde fortan als »Distrikt Galizien« bezeichnet. Im Juli 1941 begann die deutsche Verwaltung gezielte Maßnahmen gegen Juden zu ergreifen: Sie mussten eine Armbinde mit einem Davidstern tragen, ihre Bewegungsfreiheit war eingeschränkt und sie bekamen weniger Lebensmittel als die übrige Bevölkerung zugeteilt. Zur gleichen Zeit wurde ein Judenrat eingerichtet. Am 30. November 1941 ermordeten die Sicherheitspolizei und Schutzpolizeiabteilungen etwa 300 Juden im Wald von Broniza außerhalb der Stadt. Im März und August 1942 deportierten die SS, unterstützt von ukrainischer Hilfspolizei, mindestens 4.500 Juden in das Vernichtungslager Belzec. Anfang Oktober 1942 wurde ein Ghetto errichtet: Ungefähr 10.000 Juden mussten dort leben. Die Ghettobewohner mussten Zwangsarbeit in umliegenden Industriebetrieben leisten. Immer wieder wurden Juden aus dem Ghetto in das Vernichtungslager Belzec verschleppt oder vor Ort ermordet. Zwischen dem 23. Mai und dem 10. Juni 1943 lösten Sicherheitspolizei und Schutzpolizei das Ghetto auf: Sie zündeten die Gebäude an, trieben die Juden aus der Stadt und erschossen sie.
Sicherheitspolizei und Schutzpolizei ermordeten etwa 10.000 Juden in Drohobytsch. Tausende wurden in das Vernichtungslager Belzec verschleppt. Nur ungefähr 400 Juden aus Drohobytsch erlebten die Befreiung durch die Rote Armee 1944. Die Gesamtzahl der jüdischen Opfer liegt bei mindestens 15.000.
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Drohobycz verblieb nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Sowjetunion, in der es nicht üblich war, an jüdische Opfer ausdrücklich zu erinnern. Dies ist erst seit dem Ende des Kommunismus und der Unabhängigkeit der Ukraine möglich.
An einer der Erschießungsstätten, einer Mauer im Stadtzentrum, befindet sich seit 1974 eine Denkmalanlage für die Opfer der deutschen Besatzung. An dieser Mauer, schräg gegenüber dem ehemaligen Hotel Europa, in dem die Gestapo ihr Quartier bezog, wurden während der deutschen Besatzung regelmäßig öffentlich Menschen hingerichtet. Das Denkmal besteht aus mehreren Elementen: Eine Skulptur zweier nach oben gestreckter Hände und Steinreliefs in der Mauer, die Gesichter zeigen, während vor der Mauer eine Frauenfigur auf die Opfer hinweist. Unter den Ermordeten waren viele Juden, aber auch andere, etwa ukrainische Nationalisten, die sich gegen die deutsche Besatzung wandten. Am Denkmal werden die Opfer nicht näher genannt, eine Informationstafel über die Hintergründe gibt es nicht.
An die ehemalige jüdische Bevölkerung erinnert im Stadtbild vor allem die in den 1860er Jahren erbaute Große Synagoge. Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich darin ein Möbelgeschäft. Nach Jahrzehnten des Verfalls wurde die Synagoge ab 2014 aufwendig restauriert. Andere Erinnerungsorte sind etwa der jüdische Friedhof (ein weiterer wurde zu Sowjetzeiten planiert und überbaut), das ehemalige jüdische Waisenhaus, eine weitere Synagoge, die Villen von ehemaligen jüdischen Industriellen sowie das Geburtshaus des jüdisch-polnischen Schriftstellers und Künstlers Bruno Schulz (1892–1942), der im Ghetto ermordet wurde.
Im Wald von Broniza befinden sich die Massengräber der dort ermordeten Juden. Sie sind mit Betonplatten bedeckt und mit Davidsternen versehen. In der Nähe befindet sich ein Gedenkstein.
Die Denkmalanlagen im Stadtzentrum und im Wald von Broniza sind jederzeit zugänglich.
+38 (0)322 520 301
vul. Kowalska
82100 Drohobytsch