Erinnerung an die ermordeten Juden des Lagers Mychailiwka

Пам'ять про вбитих євреїв табору Михайлівка


Im Dorf Mychailiwka erinnert heute nichts mehr an die ermordeten Juden des Arbeitslagers, in dem viele Juden aus der Umgebung, aber auch aus Czernowitz umkamen. Unter den Opfern war auch die Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger (1924–1942).

Geschichte

Das Dorf Mychailiwka (russisch: Michailowka), liegt etwa 10 Kilometer östlich der Stadt Hajssyn (russisch: Gajsin). Die deutsche Wehrmacht besetzte das Dorf Ende Juli 1941. Von da an befand sich Mychailiwka an der sogenannten Durchgangsstraße IV, einer Fernverkehrsstraße, die der Wehrmacht zur Sicherung der besetzten Gebiete diente. Zunächst warben die Deutschen Dorfeinwohner zum Straßenbau an und verteilten kleine Essensrationen als Bezahlung. Bald darauf trieben Einheiten der SS jüdische Zwangsarbeiter aus angrenzenden Gebieten in das Dorf und richteten ein Zwangsarbeitslager für sie ein. Es bestand aus zwei Scheunen, die ein Stacheldrahtzaun umgab und von ukrainischen und litauischen Aufsehern bewacht wurde. Viele Juden starben an Hunger und Krankheiten oder wurden während der Bauarbeiten am Straßenrand zwischen Mychailiwka und Hajssyn erschossen. Juden, die bei einem Fluchtversuch gefasst wurden, wurden gehängt.
Ab Mai 1942 trieben die Deutschen Juden aus dem rumänisch besetzten Gebiet Transnistrien nach Mychailiwka. Unter den verschleppten Juden stammten viele ursprünglich aus Czernowitz und der Region Bukowina, darunter auch die Eltern des Dichters Paul Celan (1920–1970), die Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger (1924–1942) und der Maler Arnold Daghani (1909–1985). Das Zwangsarbeitslager befand sich von da an in einem Schulgebäude im Zentrum des Ortes. In den folgenden Monaten ermordeten die Deutschen und ihre Komplizen über 200 Juden.
Nach einem Partisanenangriff auf das Dorf im August 1943 verlegten die Deutschen das Lager in das 5 Kilometer entfernte Dorf Tarasiwka. Zeitzeugenberichten nach gelang es den Partisanen, zuvor über 100 Lagerinsassen befreien. Im Oktober 1943 zählte das Zwangsarbeitslager in Tarasiwka über 350 Juden, die überwiegend aus dem rumänisch besetzten Gebiet Transnistrien stammten. Am 10. Dezember 1943 lösten die Deutschen das Lager auf und ermordeten alle noch lebenden Häftlinge.

Opfergruppen

In Zwangsarbeitslagern wie dem in Mychailiwka kamen viele Juden aufgrund der miserablen Bedingungen um oder wurden von Mitgliedern des SD, der SS oder ihren einheimischen Helfern gezielt ermordet. Insgesamt durchliefen mehrere Hundert Juden das Lager Mychailiwka.
Die Daten einzelner Massenerschießungen sind bekannt: Am 19. August 1942 ermordeten die Deutschen zunächst 16 Häftlinge. Im November 1942 ermordeten sie weitere 107 Juden und am 26. April 1943 55 Juden in Mychailiwka. Für diese Massenerschießungen waren die KdS Schitomyr und die KdS Kiew verantwortlich.
Bei der Auflösung des Lagers in Tarasiwka ermordeten die Deutschen die mehr als 350 noch lebenden jüdischen Häftlinge.

Erfahre mehr über Ukraine

Die Ukraine, die zweitgrößte Republik der ehemaligen Sowjetunion, war einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Die Zahl der ukrainischen Todesopfer wird auf fünf bis sechs Millionen Menschen geschätzt, darunter Hunderttausende Juden. Mitte September 1939, nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens entsprechend einem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen – dem Hitler-Stalin-Pakt –, kamen die südöstlichen Regionen Polens zur Sowjetukraine. Repressionen gegen die einheimische Bevölkerung gehörten fortan zum Alltag. Im Sommer 1941 traf der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zunächst genau diese Gebiete. Schon in den ersten Tagen wurde die jüdische Bevölkerung als angebliche Stütze der Sowjetmacht Ziel blutiger Übergriffe. Sie gingen häufig von national gesinnten Ukrainern aus, die den Vormarsch der Wehrmacht zunächst begrüßten. Bald darauf begannen deutsche SS-Einsatzgruppen und verbündete rumänische Einheiten mit Massenerschießungen von Juden. Die Schlucht von Babij Jar (ukrainisch Babyn Jar) nahe Kiew, wo deutsche Einheiten und ukrainische Miliz an zwei Tagen im September 1941 mehr als 33.700 Juden ermordeten, ist heute ein weltweites Symbol für den Völkermord an den Juden. Auch die nichtjüdische Bevölkerung geriet ins Visier der Verfolger. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Ukrainer wie alle »Slawen« als »Untermenschen«. Die Besatzer plünderten das Land, verschleppten weit über eine Million Zivilisten zur Zwangsarbeit und verübten öffentliche Geiselmorde. Ab 1943 tobte nicht nur ein Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, sondern auch der Kampf der nationalistischen »Ukrajinska Powstanska Armija« (Ukrainische Aufstandsarmee = UPA) gegen die Sowjets und die polnische Bevölkerung der Westukraine. Weit über 100.000 Polen fanden hierbei den Tod. 1944 wurde die Ukraine wieder sowjetisch und umfasst seitdem auch ehemals ostpolnische Regionen. Die UPA setzte ihren Kampf bis Mitte der 1950er Jahre fort. Die sowjetischen Behörden verschleppten rund 300.000 Ukrainer nach Sibirien, um diesen Widerstand zu brechen. Die Gedenkkultur war an der sowjetischen Symbolsprache ausgerichtet. Es entstanden monumentale Gedenkanlagen zur Feier des »Sieges« im Großen Vaterländischen Krieg. Erst in jüngerer Zeit trat neben die Heldenverehrung auch das Opfergedenken. In der Westukraine hat sich zudem eine Erinnerungskultur an den Kampf der UPA entwickelt, der als Unabhängigkeitskampf interpretiert wird. Eine Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern und des Antisemitismus hat erst um 2000 begonnen. Die Massenerschießungen an Juden wurden, mit wenigen Ausnahmen, bis in die 1980er Jahre übergangen. Erst die Regierung der unabhängigen Ukraine erkannte 1991 Babyn Jar als »Symbol jüdischen Märtyrertums« an. Die Ukraine war auch lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Die Dokumentation der sowjetischen Verbrechen – wie die staatlich herbeigeführte Hungerkatastrophe 1932/33 mit Millionen Toten (Holodomor) – hat größere Bedeutung als die Aufklärung über den Holocaust. Dennoch entstanden überall im Land neue Gedenkorte in Erinnerung an die ermordeten Juden, wie etwa die Gedenkstätte Drobizkij Jar in Charkiw oder das Holocaustmuseum in Odessa. An zahlreichen Massengräbern entstanden neue Denkmäler, teils mit Unterstützung aus Deutschland. In Kiew sollte bei der ehemaligen Massenerschießungsstätte Babyn Jar eine große Holocaustgedenkstätte mit weltweiter Ausstrahlung entstehen. Diese Pläne wurden mit dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 auf Eis gelegt. Welche Auswirkungen der Verteidigungskrieg in Zukunft auf die Holocausterinnerung haben wird, bleibt abzuwarten.

Erinnerung

Die Rote Armee befreite die Region um Mychailiwka Mitte März 1944. Heute leben im Dorf keine Juden und es erinnert nichts an das ehemalige Lager oder die ermordeten Zwangsarbeiter. Einige der Gebäude des Lagers stehen zwar immer noch, sie sind jedoch nicht als solche gekennzeichnet. Auch am 1,5 Kilometer nordöstlich des Dorfes liegenden Massengrab befindet sich kein Denkmal. Lediglich einige jüdische Symbole am Tor zum Massengrab erinnern an die Opfer. Die Stelle wird gelegentlich von örtlichen Behörden und jüdischen Besuchern gepflegt.
1987 ist ein Haus der Kaiser-Friedrich-Gedächtnis-Gemeinde in Berlin-Tiergarten nach der Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger benannt worden. Ihre 58 überlieferten Gedichte gehören zum literarischen Erbe der deutsch-jüdischen Kultur der Bukowina. Sie wurden erstmals in den 1970er Jahren veröffentlicht und in den 1980er Jahren im deutschen Sprachraum bekannt. Der Maler Arnold Daghani hielt ihre letzten Tage in Mychailiwka auf einem Gemälde fest. Er floh in das rumänisch besetzte Gebiet Transnistrien und überlebte den Krieg.

Selma Meerbaum-Eichingers Biographie kann auch auf der Seite »Du bist anders?«, einer Online-Ausstellung der Stiftung Denkmal, nachgelesen werden:
https://dubistanders.de/Selma-Meerbaum-Eisinger

Kontakt

vul. Zhovtneva
Mychailiwka