Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit

Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit


In den 1993 wiederentdeckten Baracken eines ehemaligen Zwangsarbeiterlagers in Berlin-Schöneweide befanden sich 1944/45 hunderte ausländische Arbeitskräfte aus Frankreich, Belgien und Italien. Zwei weitere Baracken wurden zeitweise als Außenlager für weibliche Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen genutzt. Das 2006 an diesem Ort eröffnete Dokumentationszentrum informiert in seinen Ausstellungen über die Geschichte und Dimension der NS-Zwangsarbeit.

Geschichte

In Berlin entstanden während der Zeit des Nationalsozialismus zahlreiche Barackenlager und Sammelunterkünfte für Zwangsarbeiter, die dem »Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt« Albert Speer unterstellt waren. Ursprünglich waren die sogenannten GBI-Lager als Unterkünfte für Zwangsarbeiter vorgesehen, die beim geplanten Ausbau Berlins zur »Welthauptstadt Germania« eingesetzt werden sollten. Ab 1943 mussten die in den GBI-Lagern befindlichen Frauen und Männer verstärkt Arbeiten im Luftschutzbau und in Rüstungsbetrieben verrichten, aber auch Trümmer nach Luftangriffen beseitigen.
Zu dieser Zeit übernahm das Amt des Generalbauinspektors ein größeres brachliegendes Gelände in Berlin-Schöneweide. Das Amt plante an dieser Stelle den Bau von Unterkünften für 5.000 Zwangsarbeiter. Da ab August 1943 die Errichtung von Holzbaracken vom Reichsverteidigungskommissar aus Luftschutzgründen verboten wurde, ließ das Amt des Generalbauinspektors Steinbaracken errichten. Bis Kriegsende wurden 13 Baracken fertig gestellt. Die ersten Zwangsarbeiter kamen im Februar 1944 in das GBI-Lager 75/76. Durch eine zentral gelegene Wirtschaftsbaracke wurde das auch als »Italienerlager« bezeichnete Gelände in zwei Teile getrennt. In einem Teil befanden sich die Unterkünfte für etwa 500 italienische Militärinternierte, aber auch für andere ausländische Zwangsarbeiter. Freie Bettenplätze im Lager vermietete das Amt des Generalbauinspekteurs an Betriebe in der näheren Umgebung. Im anderen Teil des Lagers kamen Ende Februar 1945 weibliche Häftlinge eines Außenkommandos des KZ Sachsenhausen in zwei leer stehende Baracken. Ihre vorherige Unterkunft, ein nahe gelegener Bootsschuppen an der Spree, wurde bei einem Bombenangriff komplett zerstört. Die Frauen mussten unter schweren Bedingungen in der Batteriefabrik Pertrix Zwangsarbeit leisten. Im Barackenlager wurden sie von SS-Aufseherinnen streng bewacht, sodass ein Kontakt zu anderen Lagerinsassen unmöglich war.

Opfergruppen

Im November 1944 befanden sich rund 440 italienische Militärinternierte im GBI-Lager 75/76 sowie eine unbekannte Zahl von Belgiern, Franzosen und Polen. Vermutet wird, dass sich in dem Lager auch ukrainische Zwangsarbeiter, sogenannte Ostarbeiter, befanden. 200 überwiegend polnische Zwangsarbeiterinnen brachte die SS in einem zeitweise als KZ-Außenlager genutzten Teil des GBI-Lagers unter.

Erfahre mehr über Deutschland

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Die Steinbaracken des Lagers 75/76 sind als einziges Zeugnis eines der unzähligen Zwangsarbeiterlager im Berliner Raum beinahe vollkommen erhalten geblieben. Während der DDR-Zeit befanden sich in einem Teil der Gebäude Büros und Labors des Impfstoffinstituts der DDR. In einem anderen Teil befanden sich Werkstätten sowie eine Kindertagesstätte. Das ehemalige GBI-Lager wurde erst 1993 im Rahmen eines Industrieflächen-Sanierungskonzeptes wiederentdeckt. Es steht seit 1995 unter Denkmalschutz. 2001 gründete sich ein Förderverein, der maßgeblich zur Entstehung eines Dokumentationszentrums auf dem Gelände des ehemaligen Zwangsarbeitslagers beitrug. Im Jahr 2004 beschloss der Kulturausschuss des Berliner Senats in sechs leer stehenden Baracken einen zentralen Gedenkort für Zwangsarbeit im Raum Berlin-Brandenburg zu errichten. Nachdem das Land Berlin das Grundstück vom Bund erworben hatte erfolgte die Sanierung der Gebäude. Die Eröffnung des Dokumentationszentrums, das sich in der Trägerschaft der Stiftung Topographie des Terrors befindet, fand 2006 statt. Seit Ende August 2010 ist mit »Baracke 13» eine gut erhaltene Unterkunftsbaracke im Rahmen von Führungen zugänglich.
Im Mai 2013 eröffnete die neue Dauerausstellung »Alltag Zwangsarbeit 1938-1945». Sie versucht ein umfassendes Bild von den Dimensionen der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus zu vermitteln. Im Mittelpunkt steht das Schicksal der 8,4 Millionen ins Reich verschleppten Zivilarbeiter aus den besetzten Gebieten Europas: ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen, ihre je nach Herkunft unterschiedliche Behandlung und nicht zuletzt die häufige sexuelle Gewalt gegen Frauen. Der letzte Abschnitt der Ausstellung behandelt den schleppenden Umgang mit dem Thema Zwangsarbeit in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten: Erst seit 2000 werden individuelle Zwangsarbeiter von Staat und Wirtschaft nach und nach entschädigt.

Angebote

Führungen, Workshops, Seminare, Archiv, Spezialbibliothek

Öffnungszeiten

Dienstags bis sonntags 10.00 bis 18.00
Besuch der »Baracke 13« nach Vorabsprache

Kontakt

http://www.ns-zwangsarbeit.de

schoeneweide@topographie.de

+49 (0)30 6390 288 0

Britzer Straße 5
12439 Berlin