Dokumentations- und Informationszentrum Stadtallendorf

Dokumentations- und Informationszentrum Stadtallendorf


Im heutigen Stadtallendorf arbeiteten zwischen 1938 und 1945 mehr als 17.000 Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie. Ein Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) dokumentiert diese Zeit und erinnert in einer Ausstellung an das Schicksal der tausenden betroffener Frauen und Männer.

Geschichte

In der Zeit des Nationalsozialismus entwickelte sich östlich von Marburg ein Zentrum der deutschen Rüstungsproduktion. 1938 entschied sich die reichseigene Firma »Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH« auf einem etwa 1.000 Hektar großen Gelände südlich der Ortschaft Allendorf zwei Sprengstoffwerke zu errichten. Zudem bauten die Verwertchemie, eine Tochterfirma der Dynamit Nobel AG, und die Westfälisch-Anhaltische Sprengstoff AG Anlagen für die Produktion und Verarbeitung von Sprengstoffen. Im Baubereich wie in der Produktion setzte die Betriebsleitung von Beginn an ausländische Arbeitskräfte ein. Dazu zählten neben zivilen Zwangsarbeitern bald auch Kriegsgefangene aus dem Stalag IX A Ziegenhain, Strafgefangene sowie Häftlinge aus Konzentrationslagern. Zu dieser letzten Gruppe gehörten ab August 1944 etwa 1.000 jüdische Frauen aus Auschwitz-Birkenau, die größtenteils aus Ungarn stammten. In Allendorf setzte sie die Firmenleitung unter anderem für Erdarbeiten, in der Wäscherei und in der Schneiderei ein. Besonders schwer und gesundheitsgefährdend war für die ungarischen Zwangsarbeiterinnen die Arbeit in den Abfüllanlagen, in denen der giftige Sprengstoff in Granaten und Bomben gefüllt wurde. Sie mussten an sechs Tagen in der Woche bis zu zwölf Stunden täglich arbeiten.
Bereits Anfang 1940 war für die in Allendorf eingesetzten Zwangsarbeiter das Lager Münchmühle mit 26 Baracken errichtet worden. Im Zuge des Einsatzes von Häftlingen aus Konzentrationslagern wurde Münchmühle im August 1944 Außenlager des KZ Buchenwald.
Nach Kriegsende brachten die Alliierten in dem ehemaligen KZ-Außenlager Kriegsgefangene und »Displaced Persons« unter.

Opfergruppen

In den bei Allendorf angesiedelten Rüstungsbetrieben arbeiten in der Anfangszeit vor allem Einheiten des Reichsarbeitsdienstes (RAD), zivile Zwangsarbeiter aus Polen, Frankreich, Italien und den Niederlanden, sowie französische, serbische und italienische Kriegsgefangene. Viele der ab 1944 nach Allendorf gebrachten jüdischen Zwangsarbeiterinnen stammten aus Ungarn, ein Teil von ihnen aus der Slowakei. Aufgrund der schweren und gesundheitsgefährdenden Arbeit in den Rüstungsfirmen behielten viele von ihnen lebenslange Folgeschäden zurück. Einige schwangere sowie nicht mehr arbeitsfähige Frauen deportierte die SS in das Vernichtungslager Auschwitz und in das KZ Bergen-Belsen.

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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Das Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) hat seinen Sitz im Seitenflügel des ehemaligen Verwaltungssitzes der Dynamit Nobel AG. Die Stadt Stadtallendorf begann um 1986 mit der Aufarbeitung ihrer Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus. In diesem Zusammenhang entstand 1994 das Dokumentations- und Informationszentrum. Erklärtes Ziel des DIZ ist es, das Schicksal der Zwangsarbeiter in Allendorf aufzuarbeiten und zu dokumentieren. Auf dem Gelände des ehemaligen Außenlagers Mühldorf errichtete der Landkreis Marburg-Biedenkopf 1988 ein Denkmal.

Angebote

Dauerausstellung, Führungen, Einführungsvorträge, Bibliothek und Mediathek, Ausstellungen zum Thema Nationalsozialismus und Regionalgeschichte, Projekttage und Seminare, Veranstaltungen mit externen Referenten, Filmvorführungen, thematische Stadtführungen

Öffnungszeiten

Dienstags bis donnerstags 9.00 bis 12.00 und 14.00 bis 16.00, jeden ersten Sonntag im Monat 15.00 bis 18.00

Kontakt

http://www.diz-stadtallendorf.de

info@diz-stadtallendorf.de

+49 (0)6428 707 424

Aufbauplatz 4
35260 Stadtallendorf