Auf Initiative Überlebender wurde 2009 auf dem Marktplatz von Międzyrzec Podlaski eine Skulptur aufgestellt. Sie erinnert an die über 17.000 Juden, die deutsche Einheiten 1942/43 von dort in die Gaskammern von Treblinka oder zur Zwangsarbeit verschleppt haben.
Geschichte
Im zentralpolnischen Międzyrzec Podlaski (deutsch auch: Meseritz, jiddisch: Mezeritch) 130 Kilometer östlich von Warschau lebten vor dem Zweiten Weltkrieg etwa 12.000 Juden, 75 Prozent der Bevölkerung. Erst zu Beginn der »Aktion Reinhardt«, der planmäßigen Ermordung aller Juden im besetzten Polen (Generalgouvernement), wurde am Ort ein Ghetto eingerichtet. Mitte 1942 zählte die Jüdische Soziale Selbsthilfe 17.490 Juden am Ort, darunter einige tausend Flüchtlinge. Międzyrzec wurde zum größten Durchgangslager in die Vernichtung im damaligen Distrikt Lublin.
Während der ersten »Aktion« am 25./26. August 1942 trieben Angehörige der SS-Sicherheitspolizei und des Hamburger Polizeibataillons 101 sowie ukrainische Helfer um die 10.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer zusammen, ließen sie stundenlang auf dem Marktplatz kauern und dann in Viehwaggons nach Treblinka verschleppen. Juden, die später Leichen einsammeln und begraben mussten, zählten 960 Getötete in Międzyrzec, die bereits während der Razzia, auf dem Marktplatz und auf dem Weg zu den Zügen, erschossen worden waren. Es folgten weitere sieben »Aktionen«. Im Rahmen der letzten erschossen Sicherheitspolizisten Mitte Juli 1943 die letzten etwa 170 Juden dieser Kleinstadt, dann wurde die Große Synagoge gesprengt und Międzyrzec für »judenfrei« erklärt.
Opfergruppen
Über 17.000 Juden aus Międzyrzec Podlaski und aus anderen polnischen Städten sowie aus Westeuropa Deportierte wurden 1942/43 von deutschen Polizei- und SS-Einheiten und ukrainischen Helfern in die Gaskammern von Treblinka, einige wenige zur Zwangsarbeit verschleppt. Nur wenige Juden aus Międzyrzec überlebten.
Mit dem Angriff auf Polen und der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen im Westen und durch die Rote Armee im Osten begann im September 1939 der Zweite Weltkrieg. Unmittelbar nach dem Einmarsch setzten in beiden Teilungsgebieten Verfolgung und Terror ein. Deutsche Verbände verübten Massaker an Angehörigen der geistigen Eliten, jüdischen und nichtjüdischen Zivilisten sowie Patienten.
Ab Ende 1939 errichtete die deutsche Verwaltung Ghettos, in denen die jüdische Bevölkerung unter elenden Bedingungen zusammengedrängt wurde. 1941, nach dem Angriff auf die Sowjetunion, geriet auch Ostpolen unter deutsche Herrschaft. SS-Einsatzgruppen ermordeten zunächst systematisch jüdische Männer, später auch Frauen und Kinder. Im Herbst 1941 begannen lokale deutsche Dienststellen im früheren Westpolen mit der Vorbereitung von Massentötungen jüdischer Ghettohäftlinge durch Giftgas. Bis 1945 wurden etwa drei Millionen polnische Juden in den Vernichtungsstätten Kulmhof, Belzec, Treblinka und Sobibor, in Majdanek und Auschwitz ermordet, verhungerten in den Ghettos oder wurden erschossen. 1943 erhoben sich die jüdischen Bewohner des Warschauer Ghettos zu einem Aufstand, den die SS blutig niederschlug.
Polnische Soldaten kämpften auf Seiten der Alliierten an allen Fronten des Weltkriegs. Partisanengruppen, darunter die patriotische »Armia Krajowa« (Heimatarmee), bildeten die größte Widerstandsbewegung im besetzten Europa. Am 1. August 1944 begann der Warschauer Aufstand, die umfangreichste Erhebung von Zivilisten gegen die Deutschen im besetzten Europa. Er scheiterte, auch weil die Rote Armee – bereits am anderen Weichselufer stehend – nicht eingriff. Die Zahl der Toten wird auf bis zu 250.000 geschätzt. Insgesamt kamen etwa drei Millionen nichtjüdische Polen unter deutscher Besatzung gewaltsam zu Tode.
Nachdem die Rote Armee bereits im Januar 1944 (ost-)polnischen Boden erreicht hatte, wurden die Truppen der Armia Krajowa vom sowjetischen Geheimdienst entwaffnet, ihre Offiziere erschossen oder verschleppt. Die Millionen Toten der Besatzungszeit, die dauerhafte Annexion Ostpolens durch die Sowjetunion, die Eingliederung ostdeutscher Gebiete und der daraus resultierende Bevölkerungsaustausch verursachten in Polen ein schweres politisches und gesellschaftliches Trauma.
In der Erinnerungskultur stand das Gedenken an die Ermordung der europäischen Juden in deutschen Vernichtungslagern auf polnischem Boden zunächst im Hintergrund. So galt Auschwitz – im Ausland längst zum Symbol des Holocaust geworden – über Jahrzehnte vor allem als »Ort polnischen Martyriums«. Veränderungen gibt es allerdings seit Beginn des 21. Jahrhunderts. Dazu mögen auch die heftigen Debatten um den ostpolnischen Ort Jedwabne beigetragen haben. Das Massaker an etwa 340 Juden am 10. Juli 1941, das bis dahin »Gestapo und Hitler-Polizei« zugeschrieben worden war, hatten polnische »Nachbarn« ohne deutschen Zwang verübt. Die Diskussionen im In- und Ausland um eine polnische Mittäterschaft führten 2001 dazu, dass sich Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski (*1954) bei den Opfern entschuldigte. Forderungen von Fachleuten, etwa aus dem Institut des Nationalen Gedenkens, sich den schwierigsten Kapiteln der Vergangenheit zu stellen, wurden lauter. Zu diesen zählen auch antijüdische Pogrome 1946/47 und der staatliche Antisemitismus im sozialistischen Nachkriegspolen.
Der polnische Staat investiert sehr viel in Erinnerungspolitik, auch in Großprojekte mit internationaler Ausstrahlung. Das Museum des Warschauer Aufstandes wurde bereits 2004 eröffnet. Das POLIN Museum der Geschichte der polnischen Juden eröffnete auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Ghettos 2013, ein Museum des Warschauer Ghettos soll 2024 folgen. In Danzig gibt es seit 2017 das Museum des Zweiten Weltkrieges. Die ehemaligen deutschen Vernichtungslager Belzec und Sobibor wurden nach der Jahrtausendwende in moderne Gedenkstätten umgewandelt. Auch in der Kultur ist eine immer intensivere Beschäftigung mit dem jüdischen und multikulturellen Erbe Polens zu beobachten.
Erinnerung
2009, nach Jahren der Vorbereitung und der Annäherung an die heute fast ausschließlich katholische Stadtbevölkerung, gelang es Überlebenden und Nachkommen aus der israelischen »Landsmannschaft Mezeritch« auf dem Marktplatz von Międzyrzec Podlaski ein Denkmal zu enthüllen, das an die ermordeten und verschollenen jüdischen Kinder, Frauen und Männer erinnert. Die Skulptur der israelischen Künstlerin Yael Artzi trägt den Titel »Modlitwa« [deutsch: Gebet] und greift das Motiv der auf ihren Abtransport wartenden Juden auf. Zur Einweihung am 4. August 2009 kamen weit über hundert Personen aus der ganzen Welt angereist, die in dieser Stadt ihre Familienwurzeln haben. Auch auf dem Jüdischen Friedhof von Międzyrzec befinden sich zwei Denkmäler für die ermordeten Juden.
Die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas veröffentlichte im April 2011 mit den Erinnerungen Naphtali Brezniaks unter dem Titel »Birkenland. Gespräche mit meinem Vater Moshe« erstmals die Stimme eines Überlebenden aus Międzyrzec auf Deutsch.
Öffnungszeiten
Das Denkmal ist jederzeit zugänglich.
Kontakt
http://cmentarze-zydowskie.pl/miedzyrzecpodl.htm