Im südungarischen Tolnau (ungarisch: Tolna) erinnert seit 2002 ein Denkmal an die ermordeten Juden und die ehemalige Synagoge der Stadt.
Geschichte
Tolnau ist eine Kleinstadt etwa 135 Kilometer südlich von Budapest, unweit der Donau gelegen. 1941 lebten 205 Juden im Ort, was etwa 2,5 Prozent der Bevölkerung ausmachte. Einige unter ihnen waren Landwirte und besaßen größere Ländereien. Die kleine Gemeinde gehörte nach der Spaltung der ungarischen jüdischen Gemeinde der Glaubensrichtung »status quo ante« an, die eine Mischung aus liberalen und orthodoxen Elementen war.
Ende Juni 1944 richteten die lokalen Behörden drei kleine Ghettos ein, in die die 400 Juden aus Tolnau und Umgebung einziehen mussten. Am 29. Juni 1944 wurden sie in die etwas nördlicher gelegene Stadt Paks verschleppt, und von dort aus Anfang Juli 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert.
Opfergruppen
Etwa 400 Juden wurden aus dem Tolnauer Ghetto in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Die genaue Zahl der Opfer ist nicht bekannt.
Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie musste Ungarn 1920 zwei Drittel seines Staatsgebietes und sechzig Prozent seiner Bevölkerung an seine Nachbarstaaten abtreten. Diese Verluste traumatisierten das Land und führten dazu, dass sich Ungarn unter seinem Staatschef Nikolaus von (Miklós) Horthy (1868–1957) ab 1937 allmählich dem nationalsozialistischen Deutschen Reich annäherte. Es gelang Ungarn in mehreren Schritten, sein Staatsgebiet zwischen 1938 und 1941 fast zu verdoppeln. Im März 1944 war das Land angesichts der vorrückenden Roten Armee kurz davor, sich von Deutschland abzuwenden und wurde deshalb von der Wehrmacht besetzt. Horthy blieb zunächst Staatsoberhaupt. Unter Mithilfe der ungarischen Verwaltung begann die SS beinahe sofort mit Deportationen von Juden in das Vernichtungslager Auschwitz, die Ungarn trotz antijüdischer Gesetze zuvor noch verweigert hatte. Von den etwa 825.000 Juden aus »Groß-Ungarn« wurden weit über eine halbe Million Menschen dort ermordet, allein bis zu 300.000 kamen aus den Regionen des heutigen Ungarn. Darüber hinaus fanden um die 140.000 Soldaten sowie etwa 170.000 nichtjüdische Zivilisten den Tod.
Nach 1945 war Ungarn Teil der sowjetischen Einflusssphäre. Bis 1989 erinnerte das offizielle Ungarn nicht an den Krieg, sondern an sein Ende – als »Befreiung vom Faschismus«. Die Mehrheit der Bevölkerung dagegen empfand das Jahr 1945 als Beginn einer langen Unterdrückung. Der niedergeschlagene Volksaufstand von 1956 hat die Erinnerungen vieler Ungarn an den Zweiten Weltkrieg überdeckt. Der Krieg galt fortan als unrühmliche Vorgeschichte zum Leiden unter kommunistischer Herrschaft. Unterdessen zelebrierten zahlreiche staatliche Denkmäler die »ungarisch-sowjetische Freundschaft«. Zu kommunistischer Zeit wurde offiziell kaum an die Menschen erinnert, die während des Krieges an der Front, in der Heimat und während des Völkermordes umgekommen waren. Orte des Gedenkens an den Holocaust existierten außerhalb von jüdischen Institutionen nicht; allein das 1932 eingeweihte Jüdische Museum Budapest wurde bereits 1947 wiedereröffnet. 1985 richtete die jüdische Gemeinde Budapest neben der großen, am Rande des ehemaligen Ghettos stehenden Synagoge einen »Raoul-Wallenberg-Gedenkpark« ein. 1987, in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Reise des kommunistischen Staatschefs János Kádár (1912–1989) nach Schweden, entstand schließlich ein staatliches Denkmal für Wallenberg (*1912–?), der als schwedischer Gesandter Tausenden Budapester Juden das Leben rettete, 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht verschleppt wurde und seither verschollen ist. Dieses Denkmal markierte einen Wendepunkt nach einem jahrzehntelangen Verschweigen des Holocaust. Erst zur Jahrtausendwende entstanden in ganz Ungarn zahlreiche Holocaustdenkmäler und -gedenkstätten. Hierzu gehört das Denkmal »Schuhe am Donauufer« in Budapest, das am 16. April 2005 – dem 2000 eingeführten ungarischen Holocaustgedenktag – eingeweiht wurde. Es erinnert an die Ermordung von bis zu 20.000 Juden aus dem Budapester Ghetto im Januar 1945 durch »Pfeilkreuzler«, Angehörige einer rechtsradikalen Partei, die am 15. Oktober 1944 die Macht in Ungarn übernommen hatte. Ein nationales Holocaustmuseum wurde 2004 in der Hauptstadt eröffnet. Erinnerungszeichen für andere Opfer gibt es bislang allerdings kaum. Sinnbildhaft für den Umgang des postkommunistischen Ungarn mit seiner Vergangenheit im 20. Jahrhundert ist das viel diskutierte »Haus des Terrors«, das – 2002 im Zentrum Budapests eröffnet – die Geschichte »beider totalitärer Diktaturen« behandelt. Die Mitwirkung von Ungarn bei der Deportation ihrer jüdischen Mitbürger tritt dabei oft in den Hintergrund.
Erinnerung
1947 wurde die jüdische Gemeinde wieder gegründet, 1949 hatte sie noch 38 Mitglieder. Während der kommunistischen Diktatur wurde die eigenständige Gemeinde aufgelöst, viele Juden verließen Tolnau. 1959 wurde die 1906 erbaute Synagoge abgerissen.
2002 wurde auf dem zentralen Platz der Stadt ein Denkmal eingeweiht, unweit der Stelle, wo sich die Synagoge früher befand. Das Gemeinschaftswerk der Bildhauer Gábor Gáti und István Fáskerti ist sowohl den »jüdischen Märtyrern des Holocaust« als auch dem Andenken der ehemaligen Synagoge gewidmet. Auf zwei Obelisken sind die Namen Tolnauer Opfer eingraviert, die oberste Stelle symbolisiert die Tafeln der Zehn Gebote. Vor der Skulptur befindet sich ein Stein, auf dem das Wort »Erinnere Dich!« geschrieben steht. Laut Inschrift ging die Initiative für das Denkmal von Bürgern und ehemaligen Einwohnern der Stadt Tolnau sowie von »unterstützenden Organisationen« aus.
Öffnungszeiten
Das Denkmal ist jederzeit zugänglich.
Kontakt
Szentháromság tér
7130 Tolna