Denkmal für die ermordeten Juden bei Tschukiw

Пам’ятник для вбитих євреїв у Чукові


In der Nähe des Dorfes Tschukiw erinnert ein Denkmal an die ermordeten jüdischen Gefangenen des Zwangsarbeiterlagers, das die SS 1942 und 1943 dort betrieb.

Geschichte

Tschukiw ist ein Dorf sechs Kilometer südlich von Nemyriw. Es wurde am 21. Juli 1941 von der deutschen Wehrmacht besetzt. Wenige Kilometer südlich von Tschukiw verlief die Grenze zu Transnistrien, dem rumänisch besetzten Gebiet der Ukraine. Im Frühjahr 1942 richtete die SS ein Zwangsarbeitslager in Tschukiw für jüdische Häftlinge ein. Mit einer ganzen Reihe solcher Lager sollte der Bau der strategisch wichtigen »Durchgangsstraße IV« von Przemyśl bis nach Dnepropetrowsk (heute: Dnipro) und Stalino (heute: Donezk) im Osten der Ukraine vorangetrieben werden. Da die meisten Juden in den deutsch besetzten Gebieten bereits ermordet worden waren oder ihre Ermordung bereits geplant wurde, griff die SS auf Juden in rumänischen Ghettos in Transnistrien zurück. Da die Lebensbedingungen für die Juden in den dortigen Ghettos meist extrem schlecht waren, glaubten viele den deutschen Versprechungen und meldeten sich freiwillig für die Arbeit. Viele nahmen auch ihre Familienangehörigen mit.
Die SS hat das Lager in Tschukiw in einem alten Schulgebäude untergebracht und mit einem Stacheldraht umzäunt. Die Lebensbedingungen waren katastrophal und die Arbeit ohne ausreichende Ausrüstung hart und gefährlich. Krankheiten breiteten sich aus. Ab September 1942 erschossen Einheiten der SS immer wieder Gefangene aus den Zwangsarbeitslagern, vor allem Kinder und Ältere, so auch am 14. September, als die SS bis zu 300 Juden in der Nähe von Nemyriw ermordete. Anfang Februar führte die SS Selektionen in fünf Zwangsarbeitslagern entlang des Straßenbauprojekts durch: alle, die als »arbeitsunfähig« eingestuft wurden sowie alle über 40 wurden verschleppt und am 5. Februar in der Nähe von einem Flugplatz bei Tschukiw erschossen, insgesamt etwa 300 Personen.
Im Frühjahr erschoss die SS eine weitere Gruppe von etwa 200 Juden am Friedhof von Tschukiw. Wahrscheinlich stand die Mordaktion im Zusammenhang mit der Auflösung des Zwangsarbeitslagers in Tschukiw, die zur gleichen Zeit stattfand.

Opfergruppen

1942 und 1943 ermordeten deutsche Einheiten hunderte jüdische Zwangsarbeiter und ihre Angehörigen in Tschukiw. Die meisten von ihnen stammten aus den rumänischen Gebieten Bessarabien und der Bukowina. Allein am Flugplatz in Tschukiw ermordete die SS etwa 300 Juden Anfang Februar 1943.

Erfahre mehr über Ukraine

Die Ukraine, die zweitgrößte Republik der ehemaligen Sowjetunion, war einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Die Zahl der ukrainischen Todesopfer wird auf fünf bis sechs Millionen Menschen geschätzt, darunter Hunderttausende Juden. Mitte September 1939, nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens entsprechend einem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen – dem Hitler-Stalin-Pakt –, kamen die südöstlichen Regionen Polens zur Sowjetukraine. Repressionen gegen die einheimische Bevölkerung gehörten fortan zum Alltag. Im Sommer 1941 traf der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zunächst genau diese Gebiete. Schon in den ersten Tagen wurde die jüdische Bevölkerung als angebliche Stütze der Sowjetmacht Ziel blutiger Übergriffe. Sie gingen häufig von national gesinnten Ukrainern aus, die den Vormarsch der Wehrmacht zunächst begrüßten. Bald darauf begannen deutsche SS-Einsatzgruppen und verbündete rumänische Einheiten mit Massenerschießungen von Juden. Die Schlucht von Babij Jar (ukrainisch Babyn Jar) nahe Kiew, wo deutsche Einheiten und ukrainische Miliz an zwei Tagen im September 1941 mehr als 33.700 Juden ermordeten, ist heute ein weltweites Symbol für den Völkermord an den Juden. Auch die nichtjüdische Bevölkerung geriet ins Visier der Verfolger. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Ukrainer wie alle »Slawen« als »Untermenschen«. Die Besatzer plünderten das Land, verschleppten weit über eine Million Zivilisten zur Zwangsarbeit und verübten öffentliche Geiselmorde. Ab 1943 tobte nicht nur ein Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, sondern auch der Kampf der nationalistischen »Ukrajinska Powstanska Armija« (Ukrainische Aufstandsarmee = UPA) gegen die Sowjets und die polnische Bevölkerung der Westukraine. Weit über 100.000 Polen fanden hierbei den Tod. 1944 wurde die Ukraine wieder sowjetisch und umfasst seitdem auch ehemals ostpolnische Regionen. Die UPA setzte ihren Kampf bis Mitte der 1950er Jahre fort. Die sowjetischen Behörden verschleppten rund 300.000 Ukrainer nach Sibirien, um diesen Widerstand zu brechen. Die Gedenkkultur war an der sowjetischen Symbolsprache ausgerichtet. Es entstanden monumentale Gedenkanlagen zur Feier des »Sieges« im Großen Vaterländischen Krieg. Erst in jüngerer Zeit trat neben die Heldenverehrung auch das Opfergedenken. In der Westukraine hat sich zudem eine Erinnerungskultur an den Kampf der UPA entwickelt, der als Unabhängigkeitskampf interpretiert wird. Eine Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern und des Antisemitismus hat erst um 2000 begonnen. Die Massenerschießungen an Juden wurden, mit wenigen Ausnahmen, bis in die 1980er Jahre übergangen. Erst die Regierung der unabhängigen Ukraine erkannte 1991 Babyn Jar als »Symbol jüdischen Märtyrertums« an. Die Ukraine war auch lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Die Dokumentation der sowjetischen Verbrechen – wie die staatlich herbeigeführte Hungerkatastrophe 1932/33 mit Millionen Toten (Holodomor) – hat größere Bedeutung als die Aufklärung über den Holocaust. Dennoch entstanden überall im Land neue Gedenkorte in Erinnerung an die ermordeten Juden, wie etwa die Gedenkstätte Drobizkij Jar in Charkiw oder das Holocaustmuseum in Odessa. An zahlreichen Massengräbern entstanden neue Denkmäler, teils mit Unterstützung aus Deutschland. In Kiew sollte bei der ehemaligen Massenerschießungsstätte Babyn Jar eine große Holocaustgedenkstätte mit weltweiter Ausstrahlung entstehen. Diese Pläne wurden mit dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 auf Eis gelegt. Welche Auswirkungen der Verteidigungskrieg in Zukunft auf die Holocausterinnerung haben wird, bleibt abzuwarten.

Erinnerung

Nur sehr wenigen Gefangenen gelang die Flucht aus den Lagern der »Durchgangsstraße IV«. Eine von ihnen war Rachel Milner aus Czernowitz, die kurz nach dem Krieg einen kurzen Bericht über ihre Erfahrungen dort verfasst hat. Dieser Bericht sollte im »Schwarzbuch« erscheinen, das die beiden Schriftsteller Wassili Grossman und Ilja Ehrenburg über das Schicksal der sowjetischen Juden herausbringen wollten. Das Buch durfte in der Sowjetunion jedoch nicht erscheinen und wurde erst Jahrzehnte später veröffentlicht.
Bei den Massengräbern am ehemaligen Flugplatz in Tschukiw gab es lange kein Zeichen der Erinnerung. Auch nach der Unabhängigkeit der Ukraine fühlte sich niemand für die Mordstätten zuständig, was wahrscheinlich damit zusammenhing, dass die Opfer nicht aus der Gegend stammten. Immerhin wurde die Fläche, wo sich die Gräber befinden, nicht für die Landwirtschaft genutzt, so dass über die Gräber Bäume wachsen durften.
Im Rahmen des Projekts »Erinnerung bewahren«, das bei der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin angesiedelt ist, wurden 2016 und 2017 nicht-invasive archäologische Untersuchungen durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, dass es beim ehemaligen Flugplatz mindestens drei Massengräber gibt. In einem nächsten Schritt wurde dort Ort ein Denkmal errichtet und die Umrisse der Massengräber durch Steine sichtbar gemacht. Zudem informiert eine Stele auf Ukrainisch, Englisch und Hebräisch über das Schicksal der jüdischen Gefangen im Zwangsarbeitslager Tschukiw. Das Denkmal wurde im September 2019 eingeweiht.

Öffnungszeiten

Das Denkmal ist jederzeit zugänglich.

Kontakt

https://www.erinnerungbewahren.de/tschukiw/

info@erinnerung-bewahren.de


Tschukiw