Denkmal an Kindertransporte Liverpool Street

Kindertransport Memorial


Etwa 10.000 jüdische Kinder aus Deutschland, Österreich und Tschechien kamen 1938/39 auf sogenannten Kindertransporten in der britischen Hauptstadt London an, viele am Bahnhof Liverpool Street. Seit 2003 erinnerte auf dem Vorplatz das Denkmal »Für das Kind« an das Schicksal der Kinder und Jugendlichen, 2006 wurde es an einen anderen Standort gebracht und durch ein Kindertransport-Denkmal des israelischen Künstlers Frank Meisler ersetzt.

Geschichte

Nach der Machtübernahme 1933 begannen die Nationalsozialisten damit, Juden systematisch aus dem gesellschaftlichen Leben auszugrenzen und zu entrechten. Jüdische Geschäfte wurden boykottiert, diskriminierende Gesetze verboten Juden die Ausübung öffentlicher Ämter und die Eheschließung mit Nichtjuden. Die meisten der gut integrierten deutschen Juden entschieden sich zunächst dafür, in ihrer Heimat zu bleiben. Die Nationalsozialisten versuchten, die Auswanderung von Juden aus Deutschland durch ihre diskriminierende Politik voranzutreiben, zugleich machten bürokratische Hürden und die erzwungene Zahlung hoher Geldsummen es für viele Juden nahezu unmöglich, das Land zu verlassen. Im November 1938 steckten Nationalsozialisten überall in Deutschland Synagogen und jüdische Geschäfte in Brand, Juden wurden angegriffen und überfallen. Die Gestapo verhaftete tausende jüdische Männer und verschleppte sie für einige Wochen in das KZ Dachau. Fortan verboten die Nationalsozialisten jüdischen Kindern den Besuch staatlicher Schulen. Durch das Ausmaß der Pogrome konnten jüdische Hilfsorganisationen vor allem in Großbritannien eine Lockerung der Einreisebeschränkungen für jüdische Flüchtlinge erreichen, besonders für Kinder und Jugendliche. Von November 1938 bis September 1939 konnten jüdische Organisationen insgesamt etwa 10.000 jüdische Kinder nach Großbritannien bringen. Die Eltern der Kinder sollten später nachkommen und mit ihnen von dort in andere Länder auswandern.

Opfergruppen

Insgesamt konnten durch die Transporte über 10.000 jüdische Kinder aus dem Deutschen Reich – einschließlich Wien und Prag – gerettet werden. Nach ihrer Ankunft in Großbritannien wurden die Kinder direkt in Pflegefamilien oder in Auffanglagern untergebracht. Schätzungen zufolge lebten etwa 4.000 unmittelbar nach ihrer Ankunft in Heimen. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 konnten die jüdischen Kinder kaum noch Kontakt zu ihren Eltern in Deutschland aufnehmen. Etwa neun von zehn Kindern sahen ihre Eltern nie wieder. Für viele wurde die rettende Flucht zur traumatischen Erfahrung von Isolation und Einsamkeit.

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Das heutige Selbstverständnis der britischen Nation fußt maßgeblich auf der Geschichte des Landes im Zweiten Weltkrieg. Großbritannien war der einzige europäische Gegner des Deutschen Reiches, der – mit Ausnahme der Kanalinseln – nicht durch die Wehrmacht besetzt wurde. Das Vereinigte Königreich prägte als Siegermacht die europäische Nachkriegsordnung entscheidend mit. Im Mittelpunkt der Erinnerung an den Krieg steht bis heute die Besinnung auf die militärische und moralische Selbstbehauptung. Als Symbolfigur gilt dabei der konservative Premierminister Winston Churchill (1874–1965), der 1940 sein Amt antrat. Ihm gelang es, durch seine Reden einen optimistischen Geist zu verbreiten, während die Zivilbevölkerung durch die deutschen Bombenangriffe große Verluste zu beklagen hatte. Die Stadt Coventry steht sinnbildlich für die Zerstörungen, aber auch für die Initiativen einer Aussöhnung mit den Deutschen. Ein Leitmotiv im Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg in Großbritannien war der gemeinsame Einsatz verschiedener Bevölkerungsgruppen an der »Heimatfront«, in dessen Rahmen der Adel seine Herrenhäuser für Großstadtkinder zur Verfügung stellte und die königliche Familie Ausgebombte besuchte. An einen Gemeinschaftsgeist appellierte auch die »Labour Party« in ihrem Wahlkampf nach Kriegsende 1945, durch den es ihr gelang, Churchill abzulösen. Labour legte mit neuen Bildungs- und Sozialversicherungsgesetzen die Grundlage für eine Phase des sozialen Friedens nach den Grundsätzen der Chancengleichheit und Gleichberechtigung. Diesem Geist entsprach auch eine wohl in Europa einzigartige Erinnerungskultur der frühen Nachkriegsjahre. Bereits 1944 hatte eine Umfrage ergeben, dass Denkmalprojekte für die Opfer des Zweiten Weltkrieges den Überlebenden »Nutzen bringen oder Freude bereiten« sollten. Daher wurde in Wales ein Schwimmbad offizielles Gedenkzeichen, in Eastbourne sechs Häuser für Kriegsversehrte und deren Familien. Inzwischen haben sich die Formen der Erinnerung in Großbritannien verändert. Nach der dramatischen Wirtschaftskrise der 1970er Jahre leitete die konservative Premierministerin Margaret Thatcher (1925–2013) einen radikalen Politikwandel ein und veränderte auch die Stellung der Briten zu ihrer Vergangenheit. »Effizienz« wurde zum Leitbegriff. Unternehmerisches Denken sollte auch im Kulturbereich Einzug halten, Geschichte zum Konsumprodukt werden. Tatsächlich nahm sich die entstehende »Geschichtsindustrie« auch des Zweiten Weltkriegs an, wovon das Angebot zahlreicher Museumsläden zeugt. In den folgenden Jahren hat die Erinnerung an den Krieg durch die Feiern zum Jahrestag der Landung der Westalliierten in der Normandie 1944 und des Sieges 1945, aber auch durch zahlreiche Spielfilme und Fernsehserien, weiter zugenommen. In diesem Zusammenhang ist die Erinnerung an den Holocaust gestärkt worden, der bis in die späten 1960er Jahre fast völlig ausgeblendet wurde, obwohl sich viele Flüchtlinge der Verfolgung im Land niedergelassen hatten. Im Jahr 2000 eröffnete Königin Elisabeth II (1926–2022) im »Imperial War Museum«, dem zentralen Kriegs- und Militärmuseum des Landes in London, eine Dauerausstellung über den Mord an den europäischen Juden, die einen fundierten Überblick über das Verbrechen bietet. Auf Initiative der Regierung Cameron sollte im Londoner Regierungsviertel bis Mitte der 2020er Jahre ein neues nationales Holocaustdenkmal entstehen.

Erinnerung

Ein Denkmal mit dem Titel »Für das Kind«, gestaltet von der Künstlerin Flor Kent, wurde 2003 auf dem Vorplatz vor dem Bahnhof Liverpool Street eingeweiht. Es bestand aus der Bronzefigur eines Mädchens, das neben einem großen Glaskasten in Form eines stilisierten Koffers steht. In dem gläsernen Koffer befanden sich verschiedene authentische Objekte, die Kindern aus den Kindertransporten gehörten. 2006 wurde das Denkmal umgesetzt und abgewandelt: Der Koffer und die Objekte verschwanden, neben der Mädchenfigur sitzt nun die Figur eines kleinen Jungen. Die Plastik befindet sich seit 2006 im Inneren der Bahnhofshalle. Als Ersatz wurde auf dem Bahnhofsvorplatz 2006 ein Denkmal des israelischen Künstlers Frank Meisler (1925–2018) aufgestellt. Es zeigt eine Gruppe von Kindern aus Bronze, die soeben das Exil in England erreicht hat. Auf dem Sockel befinden sich Wegsteine mit den Namen von Städten, aus denen Kindertransporte abgefahren sind. Frank Meisler konnte selbst als 10jähriger im September 1939 mit einem der letzten Kindertransporte aus Danzig fliehen.
Meisler errichtete ähnliche Denkmäler an den Stationen der Kindertransporte: In seiner Heimatstadt Danzig, im Seehafen Hoek van Holland sowie in Berlin vor dem Bahnhof Friedrichstraße.

Öffnungszeiten

Das Denkmal ist jederzeit zugänglich.

Kontakt

Liverpool St, Bishopsgate
EC2M 7PY London