In der litauischen Stadt Kaunas (deutsch auch: Kauen, russisch: Kowno) erinnert ein Denkmal an das Massaker, bei dem im Juni 1941 litauische Nationalisten auf dem Innenhof der »Lietūkis-Garagen« dutzende jüdische Männer erschlugen.
Geschichte
Die Stadt Kaunas am Zusammenfluss von Memel (litauisch: Nemunas, russisch: Neman) und Neris (deutsch: Wilija) ist die zweitgrößte Stadt Litauens. Von 1920 bis 1940 war Kaunas die provisorische Hauptstadt des unabhängigen Staates Litauen. Ungefähr ein Viertel der etwa 160.000 Einwohner von Kaunas waren Juden. 1940 wurde Litauen durch die Sowjetunion besetzt und anschließend annektiert.
Im Juni 1941, bereits wenige Tage nach dem Angriff auf die Sowjetunion, besetzte die deutsche Wehrmacht die Stadt. Viele Litauer begrüßten den Einmarsch der Deutschen und den damit verbundenen Rückzug der Roten Armee. Litauische Nationalisten bezichtigten die jüdische Bevölkerung der Kollaboration und verübten Pogrome aus Rache für die sowjetische Besatzungszeit – vielfach entfacht und gutgeheißen von deutschen Besatzungsbehörden. Ein solches Pogrom fand – höchstwahrscheinlich – am 27. Juni 1941 bei den »Lietūkis-Garagen« statt, dem Innenhof einer landwirtschaftlichen Genossenschaft mit angeschlossener Tankstelle. Dort erschlugen litauische Nationalisten unter dem Beifall umstehender Zuschauer, darunter auch Frauen und Kinder, mehrere Dutzend jüdische Männer mit Eisenstangen. Auch einige deutsche Soldaten der Wehrmacht sahen der Mordaktion zu. Die jüdischen Männer mussten einzeln vortreten und wurden anschließend von wenigen Männern zu Tode geprügelt. Andere Beteiligte spülten mit Wasserschläuchen regelmäßig den Hof vom Blut der Opfer frei.
In den ersten Tagen der deutschen Besatzung fanden ähnliche Pogrome im ganzen Land statt, bei denen etwa 800 Juden der Gewalt litauischer Nationalisten zum Opfer fielen.
Opfergruppen
Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 60 jüdische Männer im Juni 1941 im Garagenhof der Lietūkis-Genossenschaft erschlagen wurden.
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Litauen
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erlangte Litauen 1918 seine Unabhängigkeit vom Russischen Reich. Im Juni 1940 wurde das Land gemäß einem deutsch-sowjetischen Vertrag – dem so genannten Hitler-Stalin-Pakt – von der Roten Armee besetzt. Viele katholische Litauer machten pauschal Juden für den Verlust der Eigenstaatlichkeit und den sowjetischen Terror verantwortlich. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 überrollte die Wehrmacht das Land binnen kurzem. Bereits zwei Tage später führten deutsche Einheiten im grenznahen Garsden die erste Massenerschießung von Juden in diesem Feldzug durch. Litauische Nationalisten erschlugen in den ersten Kriegstagen hunderte Juden. Anschließend überfiel das deutsch-litauische »Rollkommando Hamann« Tag für Tag Ortschaften in Litauen und erschoss bis Ende 1941 beinahe sämtliche Juden auf dem Land und in Kleinstädten. Litauische SS-Einheiten und Polizeibataillone waren auch an Mordaktionen insbesondere auf belarussischem Gebiet beteiligt. Die Zahl der bis Sommer 1944 ermordeten litauischen Juden liegt zwischen 140.000 und 150.000 – fast 99 Prozent der jüdischen Bevölkerung des Landes in der Zwischenkriegszeit. Hinzu kommen etwa 70.000 jüdische Opfer aus dem Wilna-Gebiet, das nach der Zerschlagung PolensW im Herbst 1939 an Litauen zurückgegeben worden war.
Der Terror richtete sich ab Sommer 1941 auch gegen meist kommunistische Kritiker und andere Minderheiten. Verschleppungen von Zwangsarbeitern in das Deutsche Reich setzten ein. Insgesamt etwa 170.000 nichtjüdische litauische Zivilisten fanden den Tod. Mit der Rückeroberung durch die Rote Armee 1944 wurde das Land erneut Teil der Sowjetunion. Tausende Litauer emigrierten, Tausende andere kämpften noch bis Ende der 1950er Jahre als Partisanen (»Waldbrüder«) gegen die sowjetische Besatzung. Insgesamt verschleppte der sowjetische Geheimdienst NKWD etwa 500.000 Litauer in das Innere der Sowjetunion. Das offizielle Litauen der Sowjetzeit gedachte vor allem der Helden des »Großen Vaterländischen Kriegs« und der prosowjetischen litauischen Patrioten, aber auch der ermordeten »friedliebenden Sowjetbürger und Kommunisten«. An einem der wichtigsten Orte des Massenmordes, dem IX. Fort in Kaunas, wurde 1958 ein Museum eingerichtet und 1984 ein monumentales Denkmalensemble aus Beton eröffnet.
Seine Unabhängigkeit von Moskau erkämpfte sich das Land 1990/91 auch gegen russische Panzer mit 14 Toten. Anschließend wurden viele Monumente aus sowjetischer Zeit abgebaut, die jahrzehntelange Besatzung und der Widerstand rückten ins Zentrum der nationalen Erinnerung. Die Annexion Litauens durch die Sowjetunion 1940/41 und 1944 bis 1990 sowie die deutsche Besetzung wurden gleichgesetzt; wie in Lettland und Estland Okkupationsmuseen eingerichtet, deren inhaltlicher Schwerpunkt die Jahre des sowjetischen Terrors ist. Erst in den 1990er Jahren kam es zu einer breiten Diskussion über die litauische Beteiligung am Holocaust und 1998 zur Gründung einer Internationalen Kommission zur Bewertung der Verbrechen während des nationalsozialistischen und des sowjetischen Besatzungsregimes.
Mittlerweile ist die litauische Erinnerungskultur immer vielfältiger. Eines der wichtigsten Institutionen ist das Jüdische Museum »Gaon von Wilna«. Am ehemaligen Massenerschießungsort Ponary (Paneriai) soll neben den Denkmälern auch ein Museumsbau entstehen. Bereits seit 2014 gibt es eine neue Dauerausstellung im Fort IX, während das Internetprojekt »Holocaust Atlas of Lithuania« detaillierte Informationen über die Orte der Massenerschießungen im ganzen Land anbietet.
Erinnerung
Das Pogrom in den »Lietūkis-Garagen« ist vor allem wegen der Serie verstörender Fotos bekannt geworden, die während der Bluttat entstanden sind. Unter Historikern ist bis heute umstritten, welche Rolle deutsche Offiziere bei den Pogromen in diesen Tagen spielten: Ob sie diese aktiv vorantrieben oder eher passive Zuschauer waren. Außerdem ist es bei diesem Massaker unklar, ob es sich bei den litauischen Tätern um eine organisierte Einheit handelte, die an ähnlichen Gewalttaten an anderen Orten beteiligt war.
Das Gelände der Lietūkis-Genossenschaft wurde indes nach dem Krieg mit weiteren Gebäuden überbaut. Die Garagen wurden abgerissen, heute gehört der Innenhof zu einer Schule. 2002 wurde dort von der Stadtverwaltung ein Gedenkstein errichtet, der an die Opfer des Massakers erinnert. Da der Stein jedoch von der Straße aus nicht zu sehen ist, bleibt der Gedenkort in Kaunas so gut wie unbekannt.