Andernacher Spiegelcontainer

Andernacher Spiegelcontainer


In Andernach, einer Kleinstadt in der Nähe von Koblenz, unterhielten die Nationalsozialisten im Rahmen der »T4«-Aktion eine sogenannte Zwischenanstalt. Psychisch Kranke und geistig Behinderte wurden hier ab 1941 gesammelt und in die »T4«-Anstalt Hadamar gebracht. Seit 1996 erinnert der Andernacher Spiegelcontainer an die Opfer der »Euthanasie«.

Geschichte

Der Begriff »Euthanasie« bezeichnete in der Zeit des Nationalsozialismus die Ermordung von Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen. Geplant und organisiert wurde der Mord an den Patienten von Heil- und Pflegeanstalten von der unmittelbar Adolf Hitler unterstellten Organisation »T4«. Auf Befehl eines Runderlasses des Reichsministers des Innern vom 30. August 1940 sollten alle zur »Euthanasie« bestimmten Patienten an verschiedenen Orten im Deutschen Reich konzentriert werden. Zu diesem Zweck wurden sogenannte Zwischenanstalten eingerichtet. Für die damalige Region Rheinprovinz wurde die Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach einer solchen Bestimmung zugeführt. Von hier aus sollten Sammeltransporte mit psychisch Kranken und körperlich Behinderten in die »T4«-Anstalt nach Hadamar abfahren. Um in Andernach Platz für neu ankommende Patienten zu schaffen, führte im März 1941 eine Ärztekommission eine Selektion unter den bisherigen Anstaltsbewohnern durch. Kurz darauf wurden 416 von ihnen in fünf Transporten in die »T4«-Anstalt Hadamar gebracht und dort in einer als Duschraum getarnten Gaskammer erstickt. In der Folge kamen zwischen dem Mai und Juli 1941 etwa 520 Personen aus anderen Anstalten in die Heil- und Pflegeanstalt Andernach. Sie wurden ab Juni in mehreren Transporten nach Hadamar gebracht. Auch nach der offiziellen Einstellung der »T4«-Aktion im August 1941 setzten Ärzte und Pflegekräfte in der Andernacher Anstalt die Tötungen fort. Die Morde erfolgten durch Giftspritzen sowie durch Nahrungsentzug und Überdosierung von Medikamenten. Ab 1943 gingen von Andernach sogenannte Ost-Verlegungen ab. In insgesamt 18 Transporten wurden bis 1944 etwa 600 Patienten in weiter östlich gelegene Heil- und Pflegeanstalten überführt. So hatten die Transporte zum Beispiel Anstalten in Tworki bei Warschau, Lüben in Schlesien und Meseritz-Obrawalde zum Ziel. Aufgrund der dort herrschenden katastrophalen Verhältnisse und der anhaltenden Morde überlebte kaum einer der Deportierten.

Opfergruppen

Es wird vermutet, dass von 1941 bis 1944 mehr als 1.560 psychisch Kranke und geistig Behinderte über die Zwischenanstalt Andernach in die »T4«-anstalt Hadamar und ab 1943 in weiter östlich gelegene Anstalten zur Tötung überführt wurden. Einige der Patienten wurden von Ärzten und Pflegekräften bereits in der Andernacher Anstalt getötet. Bekannt ist, dass sich 58 Juden unter den zur »Euthanasie« überführten Patienten der Zwischenanstalt Andernach befanden.

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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Die Initiative und der Entwurf für den Andernacher Spiegelcontainer gingen aus einer Projektgruppe des Andernacher Bertha-von-Suttner-Gymnasiums hervor. Das Denkmalprojekt konnte, von lebhaften Diskussionen begleitet, mit Hilfe von engagierten Bürgern verwirklicht werden. Es wurde am 27. Mai 1996 eingeweiht und befindet sich auf dem Gelände der evangelischen Christuskirche im Stadtzentrum. Die Form des Denkmals ist den »T4«-Transportfahrzeugen und -Gaskammern nachempfunden. In dem mit Spiegeln verkleideten Innenraum sind alle ermittelten Namen von Opfern eingraviert. Zwischen den Namen stehen 400 Punkte für weitere Opfer, deren Identität bisher nicht ermittelt werden konnte.

Öffnungszeiten

Jederzeit zugänglich

Kontakt

petzelpaul@aol.com