Mahnmal zur Erinnerung an die ermordeten Reichstagsabgeordneten
Mahnmal zur Erinnerung an die ermordeten Reichstagsabgeordneten
Vor dem Reichstagsgebäude erinnert ein Mahnmal an 96 Abgeordnete des Reichstags, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung wurden.
Geschichte
Wenige Tage vor der Reichstagswahl, in der Nacht zum 28. Februar 1933 brannte das Reichstagsgebäude. Der holländische Linksanarchist Marinus van der Lubbe, der die Brandstiftung zugab, wurde noch am Tatort festgenommen. Bereits wenige Stunden später verkündeten die Nationalsozialisten, dass für die Tat eine kommunistische Verschwörung verantwortlich sei. Die von Adolf Hitler geführte Reichsregierung reagierte in Form einer »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat«. Dieser auch als »Reichstagsbrandverordnung« bezeichnete, sowohl von Adolf Hitler als auch vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg gezeichnete Text höhlte den in der Verfassung der Weimarer Republik verankerten demokratischen Rechtsstaat aus. Er ermächtigte die Reichsregierung unter anderem dazu, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Vereins- und Versammlungsrecht sowie die Pressefreiheit außer Kraft zu setzen. Die Verfolgung von politischen Gegnern konnte somit unter dem Deckmantel der Legalität aufgenommen werden. Die Verordnung diente der Reichsregierung auch als gesetzliche Grundlage dafür, wenige Tage nach der Wahl des neuen Reichstages die Mandate der kommunistischen Reichstagsabgeordneten zu löschen. In den folgenden Monaten verfolgte die SA und ihre Hilfspolizei, sowie später die SS und die Gestapo, politische Gegner des NS-Regimes. Allein zwischen März und April 1933 wurden über 45.000 Frauen und Männer in Schutzhaft genommen und in Gefängnissen, polizeilichen Haftanstalten und in neu eingerichteten Konzentrationslagern inhaftiert. An diesen Orten wurden sie verhört und oft brutal misshandelt. Viele Kommunisten, Sozialdemokraten und linke Intellektuelle wurden vorsätzlich ermordet oder kamen infolge der Misshandlungen um.
Es gelang den Nationalsozialisten nie, eine hinter dem Reichstagsbrand vermutete kommunistische Verschwörung vor Gericht nachzuweisen.
Opfergruppen
Bisher sind 96 Reichstagsabgeordneten bekannt, die in der Zeit von 1933 bis 1945 in den Tod getrieben wurden, an den Folgen der Haft starben oder unter dem nationalsozialistischen Regime vorsätzlich ermordet wurden.
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Deutschland
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit.
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert.
Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar.
In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen.
Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.
Erinnerung
Die Initiative für ein Mahnmal zur Erinnerung an die ermordeten Reichstagsabgeordneten ging Ende der 1980er Jahre vom Verein »Perspektive Berlin« aus. Der Entwurf für das im September 1992 vor dem Reichstagsgebäude aufgestellte Mahnmal stammt von Dieter Appelt, Klaus W. Eisenlohr, Justus Müller und Christian Zwirner. Es besteht aus 96 gusseisernen Platten, die hochkant aneinandergereiht wurden. Auf den Kanten sind die Namen, Geburts- und Sterbejahre sowie die Orte der Ermordung der einzelnen Reichstagsabgeordneten eingraviert. Sollten historische Forschungen Informationen zu bisher nicht bekannten Opfern ans Licht bringen, kann das Denkmal um weitere Platten ergänzt werden.
Im Untergeschoss des Reichstagsgebäudes gibt es einen weiteren Ort, an dem an die ermordeten Reichstagsabgeordneten erinnert wird. Es handelt sich um das »Archiv der deutschen Abgeordneten« des französischen Künstlers Christian Boltanski. Dieses Archiv besteht aus 5.000 übereinander gestapelten Kästen aus Metall, wobei jeder Kasten den Namen eines Abgeordneten zwischen 1919 und 1999 trägt. Die Kästen, die Namen von ermordeten Reichstagsabgeordneten tragen, sind zusätzlich durch einen schwarzen Streifen gekennzeichnet.