Palmnicken (russisch: Jantarnyj) liegt etwa fünfzig Kilometer nordwestlich von Königsberg (russisch: Kaliningrad). Am Strand erinnern Denkmal und ein Gedenkstein an die mindestens 3.000 Juden, die am 31. Januar 1945 am Ostseestrand von deutschen SS-Angehörigen und ausländischen Helfern erschossen oder ins Meer getrieben wurden.
Geschichte
Unter dem Eindruck der herannahenden Roten Armee löste die SS im Januar 1945 die ostpreußischen Außenlager des Konzentrationslagers Stutthof auf und sammelte etwa 13.000 Häftlinge in Königsberg. Am 26. Januar trieben die SS, unter dem Kommando von Fritz Weber, und ausländische Helfer bei starkem Frost mindestens 5.000 jüdische Frauen aus Polen und Ungarn auf einen Todesmarsch in das Samland an der Ostseeküste. Nur 3.000 von ihnen kamen im Kirchdorf Palmnicken an, die übrigen ermordete das Begleitkommando auf dem Weg. Am Abend des 31. Januar brachten SS-Männer zusammen mit Angehörigen des Volkssturms, die der örtliche Bürgermeister Kurt Friedrichs mobilisiert hatte, die Juden zum Strand. Dort erschossen die SS-Leute die jüdischen Frauen oder trieben sie in die eiskalte Ostsee, in der sie erfroren.
Opfergruppen
Deutsche und ausländische SS-Angehörige erschossen am Strand von Palmnicken mindestens 3.000, nach anderen Angaben sogar 5.000 Juden, überwiegend Frauen aus Polen und Ungarn. Auf dem vorherigen Todesmarsch aus Königsberg kamen etwa 2.000 Häftlinge um. Nur etwa 18 Menschen überlebten das Massaker von Palmnicken.
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Russische Föderation
In der Russischen Föderation ist der 9. Mai – der Gedenktag an den Sieg der Sowjetunion im Großen Vaterländischen Krieg gegen den »Hitlerfaschismus« – der bedeutendste Feiertag, der aus der sowjetischen Vergangenheit übernommen wurde. Am 23. August 1939 hatte die Sowjetunion unter Josef Stalin (1878–1953) zunächst einen »Nichtangriffspakt« mit dem Deutschen Reich geschlossen. Beide Regime verständigten sich darin über ihre »Interessensphären« in Ostmitteleuropa und beschlossen unter anderem die gemeinsame Teilung Polens. Ab dem 22. Juni 1941 marschierten die deutsche Wehrmacht und ihre Verbündeten in sowjetisches Territorium ein. Bei Kriegsende 1945 waren auf dem besetzten sowjetischen Gebiet nach neueren Schätzungen insgesamt bis zu 28 Millionen Tote in Armee und Bevölkerung zu beklagen.
Die sowjetische Erinnerungskultur ist im heutigen Russland wieder dominierend. Ihre Sinnbilder – wie die monumentalen Denkmäler in Sankt Petersburg oder Wolgograd – sind noch immer beliebt und weiterhin Schauplatz großer Gedenkveranstaltungen am 9. Mai. Diese Erinnerungsstätten sind allerdings weniger Orte der Trauer und des Totengedenkens als vielmehr der Heldenverehrung. Der Opfer wurde lange Zeit gar nicht, später als »Opfer des Faschismus« gedacht. Die Wirkungsmacht dieser Sicht auf die Vergangenheit lässt sich beispielhaft am Konflikt um eine 1995 aufgestellte Skulptur vor dem Museum des Großen Vaterländischen Kriegs in der Hauptstadt Moskau ablesen. Das Denkmal »Tragödie der Völker« ist den etwa zwanzig Millionen zivilen Opfer der Jahre 1941 bis 1944 in der Sowjetunion gewidmet und sollte einen Wendepunkt in der Erinnerungskultur Russlands markieren. Nach heftiger Kritik an der auch in der Bevölkerung als zu pessimistisch empfundenen Aussage musste das Denkmal hinter das Gebäude versetzt werden.
Zugleich gab es aber auch nichtstaatliche Menschenrechtsorganisationen wie »Memorial«, die sich mit verdrängten Kapiteln der Geschichte beschäftigten, wie mit den Gefangenen der Roten Armee und Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg. Sie galten nach ihrer Rückkehr als Verräter, wurden pauschal der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigt und erneut in Lagern inhaftiert. Auch im Rahmen des staatlich-offiziellen Gedenkens gab es immer wieder engagierte lokale Kulturämter, die besondere Denkmäler und eine die Opfer einbeziehende Gedenkkultur durchsetzten. Dass an einigen Orten, häufig mit geringsten finanziellen Mitteln, kleine Erinnerungsstätten entstanden sind, ist oft auch dem Engagement von Privatpersonen oder von jüdischen Gemeinden zu verdanken. Etwa 100.000 sowjetische Juden auf dem Gebiet der heutigen Russischen Föderation waren nach 1941 vor allem Massenerschießungen der SS-Einsatzgruppen und ihrer Helfer zum Opfer gefallen. Zu Sowjetzeiten wurde an sie als »friedliche Bürger« erinnert. Erst seit Anfang der 1990er Jahre ging man dazu über, an offiziellen Denkmälern zusätzliche Tafeln anzubringen und die jüdischen Opfer zu benennen oder durch eine Übersetzung der Inschrift ins Hebräische ins Gedächtnis zu rufen. In Ansätzen gab es auch russische Forschung zum Holocaust. 2012 eröffnete in Moskau das auch von internationalen Experten anerkannte Jüdische Museum und Toleranzzentrum. Gleichzeitig wurde das politische Regime in Russland immer nationalistischer, in der Staatspropaganda dominiert ein offen revisionistisches Geschichtsnarrativ, das mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine noch aggressiver wurde. Währenddessen wurden wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter auch »Memorial«, massiv unterdrückt.
Erinnerung
In den 1960er Jahren stießen Bagger bei der Bernsteinsuche auf die Überreste eines Massengrabes. Die gefundenen Leichen wurden für getötete sowjetische Kriegsgefangene gehalten und ein entsprechender Gedenkstein gesetzt. Erst durch den Zeitzeugen Martin Bergau aus Palmnicken wurde klar, dass dort erschossene Juden begraben worden waren. Auf seine Anregung hin restaurierten Jugendliche aus Russland und Deutschland mit Unterstützung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge und des Vereins »Memorial« 1999 das Grab. Die Jüdische Gemeinde von Königsberg errichtete am 31. Januar 2000 einen Gedenkstein mit hebräischer und russischer Inschrift.
Im Januar 2011 wurde ein neues, wesentlich größeres Denkmal am Ostseestrand enthüllt. Es wurde von einer russischen Bürgerinitiative finanziert und vom Künstler Frank Meisler gestaltet. Die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas veröffentlichte im Jahr 2010 in ihrer Buchreihe die Erinnerungen von Maria Blitz (1918–2016), die den Todesmarsch überlebte.