Denkmal für die Opfer der Lager von Osaritschi

Мемориальный комплекс узникам Озаричского лагеря смерти / Мемарыяльны комплекс вязням Азарыцкага лагера смерці


Im belarussischen Osaritschi (belarussisch: Azarytschy) würdigt eine Denkmalanlage die über 9.000 zivilen Opfer, die Anfang März 1944 in drei Lagern der deutschen Wehrmacht in der Umgebung von Osaritschi durch Fleckfieber, Hunger und Kälte zu Tode gekommen sind.

Geschichte

Anfang März 1944 richtete die 9. deutsche Armee unter Oberbefehlshaber Josef Harpe auf ihrem Rückzug bei Osaritschi, Dert und Podosinnik drei mit Stacheldraht umzäunte Notlager in einem Sumpfgebiet ein – mit dem Ziel, »Seuchenkranke, Krüppel, Greise und Frauen mit mehr als zwei Kindern unter zehn Jahren sowie sonstige Arbeitsunfähige« loszuwerden. Die 35. Infanteriedivision, die 110. Infanteriedivision sowie das Sonderkommando 7 a der SS-Einsatzgruppe B trieben dann bis zum 12. März nicht weniger als 40.000, möglicherweise über 50.000 erschöpfte und hilflose Zivilisten aus den belarussischen Gebieten Gomel, Mogilew und Polessje sowie den russischen Gebieten Smolensk und Orel dorthin. Ziel der Wehrmacht war es auch, durch die humanitäre Katastrophe den Vormarsch der Roten Armee zu verlangsamen und unter ihren Soldaten Krankheiten auszubreiten.
Bis zum Einmarsch der 65. Armee der 1. Belarussischen Front am 18./19. März 1944 kamen – unter freiem Himmel, ohne Wasser und ohne Nahrung – zwischen 9.000 und 13.000 Kinder, Frauen und Männer um. Dieses kalkulierte Massensterben durch Fleckfieber, Hunger und Kälte gilt als eines der schwersten Verbrechen der Wehrmacht gegen Zivilisten im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.

Opfergruppen

Zwischen 9.000 und 13.000 der bis zu 50.000 verschleppten belarussischen und russischen Kinder, Frauen und Männer überlebte die Lagerhaft in den Lagern bei Osaritschi nicht. Unter den Befreiten waren über 15.000 Kinder unter 13 Jahren, viele von ihnen schwer erkrankt.

Erfahre mehr über Belarus

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 und dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen kam der Nordosten des Landes zu Belarus als Teil der Sowjetunion. Im Sommer 1941 wurde dann ganz Belarus von deutschen Truppen erobert. Während der folgenden drei Jahre kam jeder vierte oder gar jeder dritte Einwohner gewaltsam ums Leben. Fast alle Städte des Landes wurden völlig zerstört. Wehrmacht oder SS brannten etwa 620 Dörfer, darunter Chatyn, systematisch samt ihren Einwohnern nieder. Malyj Trostenez, nahe der belarussichen Hauptstadt Minsk, war die größte Vernichtungsstätte auf dem Gebiet der besetzten Sowjetunion. Heute nimmt man an, dass mindestens 60.000 deutsche und einheimische Juden dort ermordet wurden. Für Minsk wird die Zahl der getöteten Juden auf bis zu 85.000 geschätzt, für das gesamte Gebiet auf 230.000. Belarus bildete von 1941 an mit über tausend aktiven Gruppen ein Hauptgebiet des sowjetischen Partisanenkampfes gegen die deutschen Besatzer. Ab Ende 1943 wurde das Land von der Roten Armee zurückerobert und galt im Sommer 1944 als vollständig von der deutschen Besatzung befreit. Das Land war weitestgehend verwüstet, das gesellschaftliche Gefüge erschüttert und die Menschen traumatisiert. Belarus gehörte ab 1944 wieder zur Sowjetunion. Ein großer Teil der 1939 einverleibten polnischen Gebiete blieben Teil des Landes. In der staatlichen Erinnerungs- und Denkmalkultur des Landes dominierten nach Kriegsende der Tag der Befreiung des Landes am 3. Juli 1944 und der Tag des Sieges am 9. Mai 1945 als Ende eines »heldenhaften« Kampfes im Großen Vaterländischen Krieg. Von zentraler Bedeutung war stets auch die Erinnerung an den Partisanenkrieg. Im sowjetischen Staatsverband verzichtete man auf eine eigenständige Nennung des Massenmords an den Juden. Daher stellt ein Obelisk in der Erschießungsgrube am ehemaligen Minsker Ghetto, der »Jama«, eine Besonderheit auf dem Gebiet der damaligen Sowjetunion dar. Er wurde bereits 1946 errichtet und blieb für Jahrzehnte das einzige Denkmal mit einer jiddischen Aufschrift und direkter Nennung der ermordeten Juden. Ungewöhnlich ist auch die Erinnerungsstätte in Chatyn, wo im März 1943 153 Menschen bei lebendigem Leib verbrannt worden waren. 1969 entstanden, zeichnet sie sich durch Schlichtheit aus und verzichtet auf die sonst übliche Monumentalität, es stehen die menschliche Dimension des Grauens und das Leid der Opfer im Vordergrund. Mit der Schaffung eines unabhängigen belarussischen Staates 1991 begann die Suche nach einer eigenen nationalen Identität. Hierbei spielen die Opferzahlen – insbesondere während des Zweiten Weltkrieges – eine entscheidende Rolle. Bewusst wird allerdings eine Unterscheidung zwischen dem Gebietstand vor und nach 1939 vermieden. Die Verbrechen der Stalinzeit, aber auch der Holocaust rückten ebenso in das Blickfeld, wurden aber aufgrund der vorhandenen Regierungsform nicht weitergehend öffentlich gemacht. Das staatliche Gedenken, das seinen Ausdruck auch im 2014 eröffneten, monumentalen Neubau des Museums der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges findet, bleibt vom Kampf in den Jahren 1941 bis 1944 geprägt. Zugleich hat jedoch der Verband der jüdischen Gemeinden in Belarus inzwischen eine Reihe von Denkmälern für die Opfer des Massenmordes errichten lassen. Seit Anfang der 1990er Jahre haben mehrere deutsche Städte Stelen im Gedenken an die dorthin deportierten und getöteten Juden in Minsk errichtet; das Berliner Erinnerungszeichen wurde – vom Land Berlin und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas finanziert – am 25. Juni 2009 feierlich eingeweiht. Auch eine würdige Gestaltung des Areals von Malyj Trostenez geht voran: seit 2015 erinnert eine Gedenkanlage an die Opfer. Ein zweiter Bauabschnitt wurde 2018 im Beisein der Staatspräsidenten Deutschlands, Österreichs und von Belarus eröffnet. An der Realisierung beteiligte sich auch die Bundesrepublik finanziell, wie auch an der Renovierung der Geschichtswerkstatt, die sich in einem historischen Gebäude auf dem Gebiet des ehemaligen Minsker Ghettos um die Dokumentation von Opferschicksalen kümmert.

Erinnerung

Bereits unmittelbar nach der Rückeroberung durch die Rote Armee begann die sowjetische Außerordentliche Kommission mit der Beweissicherung in Osaritschi, Dert und Podosinnik. Ihre Untersuchungsergebnisse dienten der antideutschen Kriegspropaganda und 1945/46 als Beweisdokument beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess. General Richert wurde 1946 in Minsk wegen seiner Beteiligung an den Todeslagern um Osaritschi zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die Hauptschuldigen bleiben allerdings unbehelligt.
1965 entstand ein erstes Denkmal, dennoch wurden die Opfer in der Sowjetunion kaum öffentlich gewürdigt. Erst in der unabhängigen Republik Belarus konnten sie über ihre Erlebnisse berichten. 1994 wurde ein neues Denkmal eingeweiht, bei dem das Leid der Opfer im Vordergrund steht. Es befindet sich im Wald unweit des Dorfes Osaritschi. An diesem Ort gab es zwar einige von der Wehrmacht zurückgelassene Strukturen, die eigentlichen Lager befanden sich jedoch an anderen, unzulänglicheren Orten. Die russischsprachige Widmung der Denkmalanlage lautet: »Hier, im faschistischen Todeslager, kamen im März 1944 über 9.000 friedliche Einwohner durch Kälte, Hunger und Krankheiten um, wurden erschossen und gequält..«
Im Zentrum von Osaritschi wurde 2004 ein kleines »Museum für die Opfer des Todeslagers Osaritschi« eröffnet. Zum Jahrestag der Befreiung am 19. März finden jährlich staatliche und krirchlichen Gedenkfeiern statt. 2010 weihte die orthodoxe Kirche eine kleine Holzkapelle gegenüber dem Denkmal ein.
Die deutsch-weißrussische Wanderausstellung »Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung«, an der die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas mitgewirkt hat, wurde zum 75. Jahrestag der Befreiung der Lager um ein Modul zum Thema »Osaritschi« ergänzt.

Öffnungszeiten

Die Denkmalanlage ist jederzeit zugänglich.

Kontakt

247742 Osaritschi