Erinnerungsort Auerbach'sches Waisenhaus

Erinnerungsort für die im Nationalsozialismus deportierten und ermordeten Zöglinge und Betreuer des Baruch Auerbach'schen Waisenhauses


Bis zu seiner gewaltsamen Auflösung 1942 war das Auerbach'sche Waisenhaus ein Zufluchtsort für jüdische Kinder und Jugendliche. Seit 2000 wird am historischer Ort der über einhundert Kinder und Jugendlicher sowie ihrer Betreuer gedenkt, die im selben Jahr in den Osten deportiert und ermordet wurden.

Geschichte

Im Jahr 1833 gründete Baruch Auerbach (1793–1864) in der Rosenstraße ein Heim für jüdische Kinder. Sein Ziel war, ein »Elternhaus für Waisen« zu schaffen. Er legte viel Wert auf ihre musische Erziehung. 1897 bezogen rund 80 Zöglinge ein neues Gebäude an der Schönhauser Allee. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten lebten die Mädchen und Jungen wie auf einer »Insel im braunen Meer«, so Walter Frankenstein, einer der letzten noch lebenden Auerbacher – die Leitung der Einrichtung tat alles, um die Kinder von den Verfolgungen fernzuhalten.
Am 19. Oktober 1942, ein Jahr nach der ersten Deportation von Juden aus Berlin, verließ der 21. »Osttransport« mit 959 Menschen die deutsche Hauptstadt. Darunter befanden sich knapp 60 Kinder zwischen 2 und 16 Jahren aus dem Waisenhaus und 3 ihrer Betreuer. Das Ziel war Riga. Dort erschossen SS-Angehörige die meisten Verschleppten in Wäldern. Im 23. »Osttransport« vom 29. November 1942 befanden sich 998 Personen, darunter 75 Kinder, überwiegend Auerbacher im Alter von 10 Monaten bis 16 Jahren. Sie wurden in den Gaskammern von Auschwitz ermordet. Nach dieser Deportation wurde das Waisenhaus aufgelöst, das Gebäude nahm die Hitlerjugend in Besitz. 1943 wurde das Gebäude bei einem Bombenangriff der Alliierten zerstört.

Opfergruppen

Mehr als hundert Jungen und Mädchen aus dem Auerbach'schen Waisenhaus sowie ihre Betreuer wurden in zwei Transporten in den Osten deportiert und dort ermordet.

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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Die Reste der doch Bombenangriffe zerstörten Gebäudes wurden Mitte der 1950er Jahre abgerissen. Nur ein Teil der Vorgartenmauer blieb erhalten. Das Auerbach'sche Waisenhaus geriet in Vergessenheit. Lange Zeit gab es hier keinen Hinweis auf das Waisenhaus, das Schicksal der Kinder und ihrer Betreuer.
Im Juni 2000 befestigten Schüler der Kurt-Schwitters-Schule im Prenzlauer Berg Spielzeuge aus Ton auf der niedrigen Mauer an der Schönhauser Allee, die sie gemeinsam mit der Künstlerin Karla Sachse zur Erinnerung an die ermordeten Kinder geschaffen hatten. Nur wenige Tage später wurden die Objekte von Unbekannten zerstört. Bald wurden neue Tonfiguren gefertigt, die heute mit Bruchstücken der Originale im Museum Pankow aufbewahrt werden – und bei Gedenkveranstaltungen tragen Jugendliche diese Figuren hierher zurück.
Auf Anregung von Walter Frankenstein (*1924), einem überlebenden Zögling des Waisenhauses, ließ der Berliner Senat am 5. September 2011 eine Gedenktafel an der Fassade anbringen. Am 26. Juni 2014 wurde im Hof der Erinnerungsort der Künstlerin Susanne Ahner der Öffentlichkeit übergeben: Die bislang bekannten Namen und das Alter der ermordeten Kinder sowie ihrer Betreuer sind nun an der alten Klinkermauer zu lesen. Das Erinnerungszeichen wird durch eine Informationstafel ergänzt. Die Initiative zum neuen Erinnerungsort ging von Walter Frankenstein aus und wurde von der Berliner Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten und der Stifung Denkmal unterstützt und umgesetzt.

Öffnungszeiten

Der Erinnerungsort ist jederzeit zugänglich

Kontakt

www.stiftung-denkmal.de

info@stiftung-denkmal.de

+49 (0)30 263 943-0

Schönhauser Allee 162
10435 Berlin