Erinnerung an die ermordeten Juden in Pryluky

Пам'ять вбитих євреїв у Прилуках


Am östlichen Stadtrand Prylukys (russisch: Priluki), in einer Senke namens »Pliskunowka«, erinnert seit 2005 ein Denkmal an etwa 1.290 Juden, die dort am 20. Mai 1942 von deutschen Einheiten erschossen wurden.

Geschichte

Pryluky, etwa 120 Kilometer nördöstlich von Kiew am Ufer des Udais gelegen, ist ein bedeutendes Industriezentrum in der Region. Die erste Erwähnung der Stadt stammt aus dem Jahr 1085, Juden lebten ab dem 17. Jahrhundert dort. Die jüdische Gemeinde wurde während des Chmelnizkij-Aufstands 1648 nahezu ausgelöscht. Als Pryluky Teil des Russischen Zarenreichs war, erlebten die Juden Prylukys eine wirtschaftliche Blütezeit. In den Wirren nach der Oktoberrevolution 1917 kamen viele Juden bei antijüdischen Pogromen und bei Hungersnöten um. 1939 zählte die Stadt um die 6.140 Juden, was etwa 17 Prozent der Einwohner entsprach.
Nach ihrem Überfall auf die Sowjetunion besetzte die deutsche Wehrmacht die Stadt am 18. September 1941. Ein Großteil der Juden floh zuvor in den Osten oder schloss sich der Roten Armee an. Die deutsche Militärverwaltung stellte eine ukrainische Schutzpolizei auf und zwang die verbliebenen Juden Kennzeichnungen zu tragen und Zwangsarbeit zu leisten.
Am 1. Januar 1942 richteten die deutschen Besatzer ein Ghetto ein. Mitglieder der ukrainischen Schutzpolizei zwangen alle Juden in das Viertel rund um die Markthalle umzusiedeln. Anschließend wurde es mit Stacheldraht umzäunt. Viele Juden wurden vor dem Hungertod bewahrt, weil nichtjüdische Einwohner Prylukys über unterirdische Tunnel Lebensmittel ins Ghetto schmuggelten. Einen Monat später zählte die Feldkommandantur 1.178 Juden in der Stadt. Kurz darauf wurde der Großteil der jüdischen Männer in »Einzelaktionen« von der Geheimen Feldpolizei ermordet und an einer Rennbahn hinter dem lokalen Gefängnis zusammen mit nichtjüdischen Opfern verscharrt.
Am 20. Mai 1942 versammelten die Besatzer und ihre Helfer alle noch lebenden Juden des Ghettos unter dem Vorwand, dass sie umgesiedelt würden. Danach verschleppten sie die Einwohner des Ghettos zusammen mit Juden aus umliegenden Orten zur Senke »Pliskunowka«, am östlichen Stadtrand, wo sie alle erschossen und in mehreren Gruben verscharrten. In den folgenden Monaten ermordeten die Deutschen weitere Juden, denen zuvor die Flucht gelungen war.

Opfergruppen

In Pryluky wurden nicht nur Juden aus der Stadt, sondern auch Juden aus anderen Orten der Region Tschernigow ermordet. Die gesamte Opferzahl ist unbekannt.
Am 20. Mai 1942 ermordeten Mitglieder des SD- Sonderkommandos Plath unter dem Befehl des SS-Hauptsturmführers Julius Plath, alle Einwohner des Ghettos in Pryluky, sowie auch Juden aus umliegenden Orten. Dabei wurden sie durch lokale Hilfskräfte und Mitglieder der deutschen Feldgendarmerie unterstützt. Insgesamt wurden an diesem Tag etwa 1.290 Juden erschossen.

Erfahre mehr über Ukraine

Die Ukraine, die zweitgrößte Republik der ehemaligen Sowjetunion, war einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Die Zahl der ukrainischen Todesopfer wird auf fünf bis sechs Millionen Menschen geschätzt, darunter Hunderttausende Juden. Mitte September 1939, nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens entsprechend einem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen – dem Hitler-Stalin-Pakt –, kamen die südöstlichen Regionen Polens zur Sowjetukraine. Repressionen gegen die einheimische Bevölkerung gehörten fortan zum Alltag. Im Sommer 1941 traf der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zunächst genau diese Gebiete. Schon in den ersten Tagen wurde die jüdische Bevölkerung als angebliche Stütze der Sowjetmacht Ziel blutiger Übergriffe. Sie gingen häufig von national gesinnten Ukrainern aus, die den Vormarsch der Wehrmacht zunächst begrüßten. Bald darauf begannen deutsche SS-Einsatzgruppen und verbündete rumänische Einheiten mit Massenerschießungen von Juden. Die Schlucht von Babij Jar (ukrainisch Babyn Jar) nahe Kiew, wo deutsche Einheiten und ukrainische Miliz an zwei Tagen im September 1941 mehr als 33.700 Juden ermordeten, ist heute ein weltweites Symbol für den Völkermord an den Juden. Auch die nichtjüdische Bevölkerung geriet ins Visier der Verfolger. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Ukrainer wie alle »Slawen« als »Untermenschen«. Die Besatzer plünderten das Land, verschleppten weit über eine Million Zivilisten zur Zwangsarbeit und verübten öffentliche Geiselmorde. Ab 1943 tobte nicht nur ein Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, sondern auch der Kampf der nationalistischen »Ukrajinska Powstanska Armija« (Ukrainische Aufstandsarmee = UPA) gegen die Sowjets und die polnische Bevölkerung der Westukraine. Weit über 100.000 Polen fanden hierbei den Tod. 1944 wurde die Ukraine wieder sowjetisch und umfasst seitdem auch ehemals ostpolnische Regionen. Die UPA setzte ihren Kampf bis Mitte der 1950er Jahre fort. Die sowjetischen Behörden verschleppten rund 300.000 Ukrainer nach Sibirien, um diesen Widerstand zu brechen. Die Gedenkkultur war an der sowjetischen Symbolsprache ausgerichtet. Es entstanden monumentale Gedenkanlagen zur Feier des »Sieges« im Großen Vaterländischen Krieg. Erst in jüngerer Zeit trat neben die Heldenverehrung auch das Opfergedenken. In der Westukraine hat sich zudem eine Erinnerungskultur an den Kampf der UPA entwickelt, der als Unabhängigkeitskampf interpretiert wird. Eine Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern und des Antisemitismus hat erst um 2000 begonnen. Die Massenerschießungen an Juden wurden, mit wenigen Ausnahmen, bis in die 1980er Jahre übergangen. Erst die Regierung der unabhängigen Ukraine erkannte 1991 Babyn Jar als »Symbol jüdischen Märtyrertums« an. Die Ukraine war auch lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Die Dokumentation der sowjetischen Verbrechen – wie die staatlich herbeigeführte Hungerkatastrophe 1932/33 mit Millionen Toten (Holodomor) – hat größere Bedeutung als die Aufklärung über den Holocaust. Dennoch entstanden überall im Land neue Gedenkorte in Erinnerung an die ermordeten Juden, wie etwa die Gedenkstätte Drobizkij Jar in Charkiw oder das Holocaustmuseum in Odessa. An zahlreichen Massengräbern entstanden neue Denkmäler, teils mit Unterstützung aus Deutschland. In Kiew sollte bei der ehemaligen Massenerschießungsstätte Babyn Jar eine große Holocaustgedenkstätte mit weltweiter Ausstrahlung entstehen. Diese Pläne wurden mit dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 auf Eis gelegt. Welche Auswirkungen der Verteidigungskrieg in Zukunft auf die Holocausterinnerung haben wird, bleibt abzuwarten.

Erinnerung

Am 18. September 1943 befreite die Rote Armee Pryluky. Nur wenige Juden überlebten die deutsche Besatzungszeit. Nach dem Krieg kehrten viele Juden zurück, die zuvor ins Landesinnere geflohen waren. 1959 zählte die Stadt etwa 2.000 jüdische Einwohner.
In den späten 1980er Jahren hat sich eine neue jüdische Gemeinde gegründet. In den 1990er Jahren wanderten viele jüdischen Einwohner nach Israel, Deutschland und in die USA aus.
Vereinzelt gibt es noch Spuren der alten jüdischen Gemeinde zu sehen. Anfang des 20. Jahrhunderts waren in Pryluky mehrere Synagogen und Gebetshäuser vorhanden. In den 1920er Jahren wurden sie in öffentliche Einrichtungen umgewandelt. Die damals zentrale Synagoge der Stadt wurde 1861 gebaut. In den 1920er wurde sie in einen Arbeiterclub und nach dem Krieg in ein Kino umfunktioniert, das 1990 schloss. Heute ist nur noch die Fassade erhalten. Im Gebäude der heutigen Musikschule befand sich früher die »Fratkinskij«-Synagoge. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde ein jüdischer Friedhof im Westen der Stadt gegründet, er ist bis heute erhalten.
Die Massenerschießungsstätte »Pliskunowka«, befindet sich im Osten der Stadt an der Straße Aeroflotska. Das Massengrab wurde im Juni 1944 von Angehörigen umfriedet und mit Blumen bepflanzt. 1948 wurden alle Leichname in ein gemeinsames Grab in der Senke umgebettet. 1967 stellten die beiden Überlebenden Leonid Briskin und Vladimir Entin ohne offizielle Erlaubnis der sowjetischen Behörden einen gusseisernen Gedenkstein mit folgender Inschrift auf: » Hier liegen die Opfer des Faschismus begraben, die von Hitlers Soldaten während der Besatzung Prylukys in den Jahren 1941–1943 erschossen wurden. Möge ihr Andenken für immer bewahrt bleiben«. Dass es sich bei den Opfern um Juden handelte, blieb bis zur Errichtung eines neuen Denkmals im Jahr 2005 unerwähnt. Das neue Denkmal aus Marmor trägt die ukrainische und hebräische Inschrift: »An diesem Ort wurden während der Okkupation am 20. Mai 1942 1.290 Juden von faschistischen Besatzern ermordet«.
Am Erschießungsort selbst, an der ehemaligen Rennbahn hinter einem Gefängnisgebäude, errichteten die sowjetischen Behörden 1978 ein Denkmal, das den Opfern des Faschismus gewidmet ist.

Öffnungszeiten

Das Denkmal ist jederzeit zugänglich.

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