In der Schlucht Babij Jar (ukrainisch: Babyn Jar), 7 Kilometer nördlich vom Stadtzentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew (ukrainisch: Kyjiw) entfernt, erinnern mehrere Denkmale an die größte einzelne Massenerschießung von Juden während des Zweiten Weltkriegs. Im September 1941 erschoss die Einsatzgruppe C mindestens 33.000 Juden in Babij Jar.
Geschichte
Vor der Besetzung durch deutsche Truppen lebten in Kiew ungefähr 220.000 Juden, etwas weniger als ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Etwa 70.000 Juden flohen vor der anrückenden Wehrmacht nach Osten. Am 19. September 1941 besetzte die 6. Armee der Wehrmacht Kiew. Ihnen folgte das Sonderkommando 4a unter Paul Blobel und wenig später die gesamte Einsatzgruppe C. Nachdem einige vom NKWD zurückgelassene und ferngezündete Sprengsätze in mehreren Gebäuden explodierten, planten die örtliche Führung der Wehrmacht und der SS unter dem Vorwand einer »Vergeltungsmaßnahme« die Ermordung der Kiewer Juden. Der Stadtkommandant Generalmajor Kurt Eberhard stimmte den Mordplänen ausdrücklich zu – in einem Bericht der SS hieß es, die Wehrmacht erbitte »radikales Vorgehen«. Am Morgen des 29. September, dem jüdischen Feiertag Jom Kippur, mussten sich die Juden von Kiew zu ihrer angeblichen »Umsiedlung« an einem Sammelplatz einfinden. Über 33.000 jüdische Frauen, Kinder und Männer trieb das Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C unter Mithilfe ukrainischer Milizen und Wehrmachtssoldaten zur Schlucht Babij Jar am Stadtrand von Kiew. Dort mussten sich die Juden entkleiden und ihre Wertsachen abgeben. Dann wurden sie gezwungen, in Zehnerreihen an den Rand der Schlucht zu treten, Angehörige des Sonderkommandos 4a erschossen sie mit Maschinengewehren. Das Morden dauerte noch den ganzen folgenden Tag an, Heerespioniere sprengten die Schlucht anschließend. Immer wieder ermordete die SS auch Kriegsgefangene und Roma in Babij Jar. Im Sommer 1943 kehrte Paul Blobel mit dem Sonderkommando 1005 nach Babij Jar zurück. Diese Einheit hatte den Auftrag die Spuren der Morde vor der anrückenden Roten Armee zu verwischen: Jüdische Zwangsarbeiter mussten die bereits verwesten Leichen ausgraben und verbrennen. Das Massaker von Babij Jar gilt als die größte einzelne Massenerschießung während des Holocaust.
Opfergruppen
Nach ihren eigenen Angaben ermordete die Einsatzgruppe C 33.771 jüdische Kinder, Frauen und Männer an den Tagen 29. und 30. September 1941 in Babij Jar.
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Ukraine
Die Ukraine, die zweitgrößte Republik der ehemaligen Sowjetunion, war einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Die Zahl der ukrainischen Todesopfer wird auf fünf bis sechs Millionen Menschen geschätzt, darunter Hunderttausende Juden.
Mitte September 1939, nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens entsprechend einem deutsch-sowjetischen Geheimabkommen – dem Hitler-Stalin-Pakt –, kamen die südöstlichen Regionen Polens zur Sowjetukraine. Repressionen gegen die einheimische Bevölkerung gehörten fortan zum Alltag. Im Sommer 1941 traf der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zunächst genau diese Gebiete. Schon in den ersten Tagen wurde die jüdische Bevölkerung als angebliche Stütze der Sowjetmacht Ziel blutiger Übergriffe. Sie gingen häufig von national gesinnten Ukrainern aus, die den Vormarsch der Wehrmacht zunächst begrüßten. Bald darauf begannen deutsche SS-Einsatzgruppen und verbündete rumänische Einheiten mit Massenerschießungen von Juden. Die Schlucht von Babij Jar (ukrainisch Babyn Jar) nahe Kiew, wo deutsche Einheiten und ukrainische Miliz an zwei Tagen im September 1941 mehr als 33.700 Juden ermordeten, ist heute ein weltweites Symbol für den Völkermord an den Juden. Auch die nichtjüdische Bevölkerung geriet ins Visier der Verfolger. In der nationalsozialistischen Rassenideologie galten Ukrainer wie alle »Slawen« als »Untermenschen«. Die Besatzer plünderten das Land, verschleppten weit über eine Million Zivilisten zur Zwangsarbeit und verübten öffentliche Geiselmorde. Ab 1943 tobte nicht nur ein Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, sondern auch der Kampf der nationalistischen »Ukrajinska Powstanska Armija« (Ukrainische Aufstandsarmee = UPA) gegen die Sowjets und die polnische Bevölkerung der Westukraine. Weit über 100.000 Polen fanden hierbei den Tod. 1944 wurde die Ukraine wieder sowjetisch und umfasst seitdem auch ehemals ostpolnische Regionen. Die UPA setzte ihren Kampf bis Mitte der 1950er Jahre fort. Die sowjetischen Behörden verschleppten rund 300.000 Ukrainer nach Sibirien, um diesen Widerstand zu brechen.
Die Gedenkkultur war an der sowjetischen Symbolsprache ausgerichtet. Es entstanden monumentale Gedenkanlagen zur Feier des »Sieges« im Großen Vaterländischen Krieg. Erst in jüngerer Zeit trat neben die Heldenverehrung auch das Opfergedenken. In der Westukraine hat sich zudem eine Erinnerungskultur an den Kampf der UPA entwickelt, der als Unabhängigkeitskampf interpretiert wird. Eine Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern und des Antisemitismus hat erst um 2000 begonnen. Die Massenerschießungen an Juden wurden, mit wenigen Ausnahmen, bis in die 1980er Jahre übergangen. Erst die Regierung der unabhängigen Ukraine erkannte 1991 Babyn Jar als »Symbol jüdischen Märtyrertums« an. Die Ukraine war auch lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Die Dokumentation der sowjetischen Verbrechen – wie die staatlich herbeigeführte Hungerkatastrophe 1932/33 mit Millionen Toten (Holodomor) – hat größere Bedeutung als die Aufklärung über den Holocaust. Dennoch entstanden überall im Land neue Gedenkorte in Erinnerung an die ermordeten Juden, wie etwa die Gedenkstätte Drobizkij Jar in Charkiw oder das Holocaustmuseum in Odessa. An zahlreichen Massengräbern entstanden neue Denkmäler, teils mit Unterstützung aus Deutschland. In Kiew sollte bei der ehemaligen Massenerschießungsstätte Babyn Jar eine große Holocaustgedenkstätte mit weltweiter Ausstrahlung entstehen. Diese Pläne wurden mit dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 auf Eis gelegt. Welche Auswirkungen der Verteidigungskrieg in Zukunft auf die Holocausterinnerung haben wird, bleibt abzuwarten.
Erinnerung
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde in Babij Jar jahrzehntelang kein Denkmal errichtet. Stattdessen ließ die Führung der Kommunistischen Partei der Ukraine die Schlucht 1962 einebnen und einen Kulturpark auf dem Gelände anlegen. Auf Druck aus dem Ausland und von Überlebenden hin, wurde am 29. September 1976, dem 35. Jahrestag der Morde, ein Denkmal eingeweiht. Da sich auf dem Gelände der Schlucht der Kulturpark befindet, errichteten die Behörden das Denkmal ein wenig von Babij Jar entfernt und deuteten die ehemalige Schlucht durch eine Bodenaushebung an. In der Inschrift des Denkmals wurden jüdische Opfer nicht erwähnt. 1991 fand die erste offiziell gebilligte Gedenkfeier für die jüdischen Opfer von Babij Jar statt, eine Inschrift zum Gedenken der ermordeten Juden von Kiew wurde ergänzt. In der Nähe der ehemaligen Schlucht wurde ebenfalls in dieser Zeit eine Menora aus Stein aufgestellt. Seitdem sind mehrere zusätzliche Denkmäler aufgestellt wurden, so zum Beispiel 2001 in Erinnerung an die ermordeten Kinder und 2016 im Gedenken an die ermordeten Roma.
Laut Planungen soll 2023 eine große, zentrale Holocaustgedenkstätte in der Nähe des Geländes eröffnen.