Friedhof und Denkmal für die ermordeten Juden von Molėtai

Molėtų žydų žudynių vieta ir kapas


In der litauischen Kleinstadt Molėtai erinnert ein Denkmal an die jüdische Bevölkerung der Stadt, die Ende August 1941 fast vollständig ausgelöscht wurde. Im Spätsommer 2016 machte Molėtai mit einem in Litauen bis dahin beispiellosen Gedenkmarsch für die Opfer international auf sich aufmerksam.

Geschichte

Molėtai (deutsch auch: Mulau, jiddisch: Maliat oder Malat) ist eine Kleinstadt etwa 60 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Wilna (litauisch: Vilnius). Juden lebten dort seit dem 18. Jahrhundert. Laut Volkszählung hatte Molėtai 1897, damals noch als Teil des Russischen Zarenreichs, etwa 2.400 Einwohner, davon waren mehr als 80 Prozent Juden.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Litauen unabhängig. Zunächst ging es den meisten Einwohnern von Molėtai wirtschaftlich schlecht, viele Juden wanderten in die USA, nach Südafrika oder Südamerika aus. Molėtai blieb dennoch eine vorwiegend jüdische Stadt, von den 21 – meist sehr kleinen – Geschäften 1931 gehörten 19 zu Juden.
1940 wurde Litauen durch die Rote Armee besetzt und wenig später in die Sowjetunion eingegliedert. Geschäfte und Betriebe wurden verstaatlicht, was vielen Juden ihre Lebensgrundlage entzog. Die meisten jüdischen Organisationen und Einrichtungen wurden verboten.
Ein Jahr später überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion und marschierte am 26. Juni 1941 in Molėtai ein. Unmittelbar danach machten litauische Nationalisten Jagd auf tatsächliche oder vermeintliche Unterstützer des sowjetischen Regimes und ermordeten viele von ihnen. Wenig später wurden etwa 60 junge jüdische Männer und Jugendliche ermordet.
Am 23. August 1941 ließ der Polizeichef von Molėtai, Tomas Valiukonis, alle Juden festnehmen und in ein Gebetshaus einsperren. Sie erhielten keinerlei Verpflegung. Am 26. August erschienen deutsche Offiziere in der Stadt. Sie und durch weiße Armbinden gekennzeichnete litauische Kollaborateure ließen eine Gruppe von etwa 180 jüdischen Männern eine große Grube in der Nähe der Stadt ausheben. Anschließend mussten sich die Männer ausziehen und wurden erschossen. Danach wurden alle übrigen jüdischen Kinder, Frauen und Männer in mehreren Gruppen zur Grube geführt und dort erschossen.

Opfergruppen

Insgesamt erschossen deutsche und litauische Einheiten zwischen 700 und 1.200 Juden aus Molėtai am 26. August 1941. Die genaue Zahl der Opfer ist nicht bekannt.

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Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erlangte Litauen 1918 seine Unabhängigkeit vom Russischen Reich. Im Juni 1940 wurde das Land gemäß einem deutsch-sowjetischen Vertrag – dem so genannten Hitler-Stalin-Pakt – von der Roten Armee besetzt. Viele katholische Litauer machten pauschal Juden für den Verlust der Eigenstaatlichkeit und den sowjetischen Terror verantwortlich. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 überrollte die Wehrmacht das Land binnen kurzem. Bereits zwei Tage später führten deutsche Einheiten im grenznahen Garsden die erste Massenerschießung von Juden in diesem Feldzug durch. Litauische Nationalisten erschlugen in den ersten Kriegstagen hunderte Juden. Anschließend überfiel das deutsch-litauische »Rollkommando Hamann« Tag für Tag Ortschaften in Litauen und erschoss bis Ende 1941 beinahe sämtliche Juden auf dem Land und in Kleinstädten. Litauische SS-Einheiten und Polizeibataillone waren auch an Mordaktionen insbesondere auf belarussischem Gebiet beteiligt. Die Zahl der bis Sommer 1944 ermordeten litauischen Juden liegt zwischen 140.000 und 150.000 – fast 99 Prozent der jüdischen Bevölkerung des Landes in der Zwischenkriegszeit. Hinzu kommen etwa 70.000 jüdische Opfer aus dem Wilna-Gebiet, das nach der Zerschlagung PolensW im Herbst 1939 an Litauen zurückgegeben worden war. Der Terror richtete sich ab Sommer 1941 auch gegen meist kommunistische Kritiker und andere Minderheiten. Verschleppungen von Zwangsarbeitern in das Deutsche Reich setzten ein. Insgesamt etwa 170.000 nichtjüdische litauische Zivilisten fanden den Tod. Mit der Rückeroberung durch die Rote Armee 1944 wurde das Land erneut Teil der Sowjetunion. Tausende Litauer emigrierten, Tausende andere kämpften noch bis Ende der 1950er Jahre als Partisanen (»Waldbrüder«) gegen die sowjetische Besatzung. Insgesamt verschleppte der sowjetische Geheimdienst NKWD etwa 500.000 Litauer in das Innere der Sowjetunion. Das offizielle Litauen der Sowjetzeit gedachte vor allem der Helden des »Großen Vaterländischen Kriegs« und der prosowjetischen litauischen Patrioten, aber auch der ermordeten »friedliebenden Sowjetbürger und Kommunisten«. An einem der wichtigsten Orte des Massenmordes, dem IX. Fort in Kaunas, wurde 1958 ein Museum eingerichtet und 1984 ein monumentales Denkmalensemble aus Beton eröffnet. Seine Unabhängigkeit von Moskau erkämpfte sich das Land 1990/91 auch gegen russische Panzer mit 14 Toten. Anschließend wurden viele Monumente aus sowjetischer Zeit abgebaut, die jahrzehntelange Besatzung und der Widerstand rückten ins Zentrum der nationalen Erinnerung. Die Annexion Litauens durch die Sowjetunion 1940/41 und 1944 bis 1990 sowie die deutsche Besetzung wurden gleichgesetzt; wie in Lettland und Estland Okkupationsmuseen eingerichtet, deren inhaltlicher Schwerpunkt die Jahre des sowjetischen Terrors ist. Erst in den 1990er Jahren kam es zu einer breiten Diskussion über die litauische Beteiligung am Holocaust und 1998 zur Gründung einer Internationalen Kommission zur Bewertung der Verbrechen während des nationalsozialistischen und des sowjetischen Besatzungsregimes. Mittlerweile ist die litauische Erinnerungskultur immer vielfältiger. Eines der wichtigsten Institutionen ist das Jüdische Museum »Gaon von Wilna«. Am ehemaligen Massenerschießungsort Ponary (Paneriai) soll neben den Denkmälern auch ein Museumsbau entstehen. Bereits seit 2014 gibt es eine neue Dauerausstellung im Fort IX, während das Internetprojekt »Holocaust Atlas of Lithuania« detaillierte Informationen über die Orte der Massenerschießungen im ganzen Land anbietet.

Erinnerung

Heute hat die Stadt Molėtai etwa 6.400 Einwohner. Nach dem Krieg kehrte nur eine Handvoll überlebender Juden nach Molėtai zurück, bald verließen sie die Stadt jedoch wieder.
Das Massengrab der ermordeten Juden wurde nach dem Krieg markiert. Zu sowjetischer Zeit erinnerte eine Gedenktafel mit einem Roten Stern an die Opfer; dass es sich bei ihnen um Juden handelte, wurde nicht erwähnt. Anfang der 1990er Jahre wurde die Tafel durch ein Denkmal mit litauischer und hebräischer Inschrift ersetzt.
Am 26. August 2016, 75 Jahre nach dem Massaker, fand ein Gedenkmarsch mit etwa 3.000 Teilnehmern in Molėtai statt, der internationale Aufmerksamkeit erregte. Zahlreiche bekannte litauische Persönlichkeiten nahmen an ihm teil, darunter auch Staatspräsidentin Dalia Grybauskaitė. Als Höhepunkt der Veranstaltung wurde ein neues Denkmal aus Granit am Ort des Massengrabes eingeweiht.
Dem Gedenkmarsch war eine intensive gesellschaftliche Debatte über die litauische Mitverantwortung am Holocaust vorausgegangen, angestoßen von litauischen Intellektuellen. So schrieb der Schriftsteller Marius Ivaškevičius (geb. 1973), der sich mit der Geschichte seiner Heimatstadt Molėtai beschäftigte: »Ich bin nicht Jude, ich bin Litauer, und ich weiß, dass wir es tun können: unsere Stärke und unsere Verbundenheit zeigen. Uns zu unseren Fehlern und sogar Verbrechen bekennen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke«. Auch das in mehrere Sprachen übersetzte Buch der Journalistin Rūta Vanagaitė (geb. 1955) »Die Unsrigen« über die Verstrickung von Litauern in die Ermordung der Juden hatte die Debatte befeuert.

Öffnungszeiten

Das Denkmal ist jederzeit zugänglich.

Kontakt

Vilniaus g.
33112 Białystok (Ghetto)