Das Dorf Ponary (litauisch: Paneriai, jiddisch: Ponar) befindet sich etwa zehn Kilometer westlich der litauischen Hauptstadt Wilna (litauisch: Vilnius). In der Zeit der deutschen Besetzung des Landes befand sich hier eine der größten Erschießungsstätten der SS in Litauen.
An diesem Ort erinnern ein Museum und mehrere Gedenksteine an die Zehntausenden in Ponary ermordeten Juden und anderen Opfer.
Geschichte
Zwischen den Weltkriegen gehörte Ponary zu Polen. 1939 besetzte die sowjetische Rote Armee dieses Gebiet und begann bei der im Wald gelegenen Bahnstation von Ponary einen Militärstützpunkt mit unterirdisch liegenden Treibstofftanks für Flugzeuge zu errichten.
Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Litauen nutzten die neuen Besatzer den unvollendeten Bau ab Juli 1941 hauptsächlich als Ort für die Massenerschießungen der jüdischen Bevölkerung Wilnas. Allein bis Ende 1941 ermordete der deutsche Sicherheitsdienst in Kooperation mit Polizei und unter aktiver Hilfe einer Einheit von etwa 50 litauischen Kollaborateuren (litauisch: Ypatingasis būrys – entspricht etwa: Sonderkommando) an diesem Ort etwa 56.500 Juden. Die Morde in Ponary gingen bis Juli 1944 weiter.
Um ihre Spuren zu verwischen, ließen die Täter im Rahmen der »Aktion 1005« ab September 1943 die in den Massengräbern befindlichen Leichen durch Zwangsarbeiter verbrennen. Unter den Häftlingen, die zu dieser Arbeit gezwungen wurden, waren viele Juden und sowjetische Kriegsgefangene.
Opfergruppen
Die Zahl der im Wald von Ponary ermordeten Personen ist unklar, sie wird auf etwa 70.000 geschätzt. Die sowjetischen Behörden gaben die Zahl der Opfer mit 100.000 an, eine Zahl, die nach Ansicht heutiger Experten überhöht ist. Unter den Opfern befanden sich zu einem großen Teil Juden, aber auch sowjetische Kriegsgefangene, polnische Widerstandskämpfer und Intellektuelle, litauische Zivilisten und Roma.
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Litauen
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erlangte Litauen 1918 seine Unabhängigkeit vom Russischen Reich. Im Juni 1940 wurde das Land gemäß einem deutsch-sowjetischen Vertrag – dem so genannten Hitler-Stalin-Pakt – von der Roten Armee besetzt. Viele katholische Litauer machten pauschal Juden für den Verlust der Eigenstaatlichkeit und den sowjetischen Terror verantwortlich. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 überrollte die Wehrmacht das Land binnen kurzem. Bereits zwei Tage später führten deutsche Einheiten im grenznahen Garsden die erste Massenerschießung von Juden in diesem Feldzug durch. Litauische Nationalisten erschlugen in den ersten Kriegstagen hunderte Juden. Anschließend überfiel das deutsch-litauische »Rollkommando Hamann« Tag für Tag Ortschaften in Litauen und erschoss bis Ende 1941 beinahe sämtliche Juden auf dem Land und in Kleinstädten. Litauische SS-Einheiten und Polizeibataillone waren auch an Mordaktionen insbesondere auf belarussischem Gebiet beteiligt. Die Zahl der bis Sommer 1944 ermordeten litauischen Juden liegt zwischen 140.000 und 150.000 – fast 99 Prozent der jüdischen Bevölkerung des Landes in der Zwischenkriegszeit. Hinzu kommen etwa 70.000 jüdische Opfer aus dem Wilna-Gebiet, das nach der Zerschlagung PolensW im Herbst 1939 an Litauen zurückgegeben worden war.
Der Terror richtete sich ab Sommer 1941 auch gegen meist kommunistische Kritiker und andere Minderheiten. Verschleppungen von Zwangsarbeitern in das Deutsche Reich setzten ein. Insgesamt etwa 170.000 nichtjüdische litauische Zivilisten fanden den Tod. Mit der Rückeroberung durch die Rote Armee 1944 wurde das Land erneut Teil der Sowjetunion. Tausende Litauer emigrierten, Tausende andere kämpften noch bis Ende der 1950er Jahre als Partisanen (»Waldbrüder«) gegen die sowjetische Besatzung. Insgesamt verschleppte der sowjetische Geheimdienst NKWD etwa 500.000 Litauer in das Innere der Sowjetunion. Das offizielle Litauen der Sowjetzeit gedachte vor allem der Helden des »Großen Vaterländischen Kriegs« und der prosowjetischen litauischen Patrioten, aber auch der ermordeten »friedliebenden Sowjetbürger und Kommunisten«. An einem der wichtigsten Orte des Massenmordes, dem IX. Fort in Kaunas, wurde 1958 ein Museum eingerichtet und 1984 ein monumentales Denkmalensemble aus Beton eröffnet.
Seine Unabhängigkeit von Moskau erkämpfte sich das Land 1990/91 auch gegen russische Panzer mit 14 Toten. Anschließend wurden viele Monumente aus sowjetischer Zeit abgebaut, die jahrzehntelange Besatzung und der Widerstand rückten ins Zentrum der nationalen Erinnerung. Die Annexion Litauens durch die Sowjetunion 1940/41 und 1944 bis 1990 sowie die deutsche Besetzung wurden gleichgesetzt; wie in Lettland und Estland Okkupationsmuseen eingerichtet, deren inhaltlicher Schwerpunkt die Jahre des sowjetischen Terrors ist. Erst in den 1990er Jahren kam es zu einer breiten Diskussion über die litauische Beteiligung am Holocaust und 1998 zur Gründung einer Internationalen Kommission zur Bewertung der Verbrechen während des nationalsozialistischen und des sowjetischen Besatzungsregimes.
Mittlerweile ist die litauische Erinnerungskultur immer vielfältiger. Eines der wichtigsten Institutionen ist das Jüdische Museum »Gaon von Wilna«. Am ehemaligen Massenerschießungsort Ponary (Paneriai) soll neben den Denkmälern auch ein Museumsbau entstehen. Bereits seit 2014 gibt es eine neue Dauerausstellung im Fort IX, während das Internetprojekt »Holocaust Atlas of Lithuania« detaillierte Informationen über die Orte der Massenerschießungen im ganzen Land anbietet.
Erinnerung
Die Gedenkanlage im Wald bei Ponary umfasst mehrere Denkmäler sowie ein Museumsgebäude, das seit 1960 existiert. Hier werden persönliche Gegenstände, Dokumente und Fotografien der Opfer gezeigt.
1985 finanzierte die sowjetische Staatsführung die Umgestaltung des Geländes und die Überarbeitung der Ausstellung.
Während der Zeit der Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit Litauens wurde im Juni 1991 auf Initiative der Jüdischen Gemeinde Wilna und einer israelischen Organisation ein erster Gedenkstein aufgestellt, der in fünf Sprachen (Jiddisch, Hebräisch, Litauisch, Englisch und Russisch) an die in Ponary ermordeten Juden erinnert. Für die ermordeten Polen und Litauer gibt es in der Gedenkanlage seit 1989 und 1993 separate Denkmäler.
Die Denkmäler sind jederzeit zugänglich.
Museum geöffnet Dienstag bis Sonntag 9.00 bis 17.00 oder nach telefonischer Voranmeldung.
Von Oktober bis April nur nach telefonischer Anmeldung