In Plowdiw, der zweitgrößten Stadt Bulgariens, erinnert das 1998 errichtete »Denkmal der Dankbarkeit« an die verhinderte Verschleppung der Plowdiwer Juden im März 1943.
Geschichte
Bereits im September 1939 verwies die bulgarische Regierung alle ausländischen Juden des Landes. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes »zum Schutz der Nation« im Januar 1941 begann in Bulgarien die Ausgrenzung der Juden. Sie mussten einen Gelben Stern als Kennzeichnung tragen, wurden enteignet und aus den Städten verbannt. Tausende jüdische Männer leisteten unter schwersten Bedingungen Zwangsarbeit in Lagern. Außerdem stimmte Bulgarien der Deportation jüdischer Staatsbürger im Ausland nach Auschwitz zu.
Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Jugoslawien und Griechenland im Frühjahr 1941 besetzte Bulgarien die griechische Region Thrakien, Teile Mazedoniens und Serbiens. Obwohl das Land nicht von der Wehrmacht besetzt war, nahmen im März 1943 bulgarische Behörden in diesen Gebieten fast 11.500 Juden gefangen und übergaben sie der SS, die sie ins Vernichtungslager Treblinka im besetzten Polen verschleppte und dort ermordete.
Auch im bulgarischen Kernland wurden Verhaftungen durchgeführt. In Plowdiw internierten die Behörden Anfang März 1943 etwa 7.400 der 8.000 Juden und verbrachten sie in Arbeitslager auf dem Land. Unklar bleibt, ob diese Aktion eine mögliche Deportation aus Bulgarien verhindern oder aber eine solche vorbereiten sollte. Die in der Stadt verbliebenen Juden versteckte der orthodoxe Metropolit Kyril vorübergehend in seinem Haus und verfasste zahlreiche Briefe an das bulgarische Parlament, die gegen die geplante Deportation der Plowdiwer Juden gerichtet waren.
Proteste seitens der Politik – insbesondere des stellvertretenden Parlamentspräsidenten Dimitar Peschew (1894–1973) – und der Kirche verhinderten schließlich die geplante Verschleppung der Juden aus dem bulgarischen Kernland. Ein Grund für diesen Erfolg dürfte auch der sich abzeichnende militärische Sieg der Alliierten gewesen sein.
Opfergruppen
Das Denkmal ist der Rettung der Juden Plowdiws gewidmet, die wie die meisten bulgarischen Juden überlebten.
Aus den besetzten Gebieten Griechenlands und Jugoslawiens allerdings lieferte Bulgarien im März 1943 über 11.000 Juden an die SS aus, die sie im Vernichtungslager Treblinka ermordete.
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Bulgarien
1934 errichtete der seit 1918 regierende Boris III. (1894–1943) in Bulgarien ein autoritäres Regime. Mit dem »Gesetz zum Schutz der Nation« Ende 1940 wurden Juden zu Bürgern minderen Rechts. Im Zweiten Weltkrieg gehörte das Land zu den Verbündeten Deutschlands. Am 1. März 1941 trat es dem Dreimächtepakt (Deutschland, Japan, Italien) bei. Im Jahr zuvor hatte Bulgarien auf deutsche Initiative einen Teil der Landschaft Dobrudscha an der Schwarzmeerküste von Rumänien zurückerhalten, und im Frühjahr 1941 gelang es dem Land erneut, seine Einflusszone zu erweitern: Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Jugoslawien und Griechenland besetzte Bulgarien die griechische Region Thrakien, Teile Nordmazedoniens und Serbiens.
Im März 1943 nahmen bulgarische Behörden 11.500 der in diesen Besatzungsgebieten lebenden Juden gefangen und übergaben sie dem deutschen SS-Apparat, der sie in die deutschen Vernichtungslager im besetzten Polen verschleppte und dort ermordete. Auch in Bulgarien selbst, wo etwa 50.000 Juden lebten, wurden Verhaftungen durchgeführt. Ihre Verschleppung konnte durch Proteste unter den politischen Parteien – besonders des stellvertretenden Parlamentspräsidenten Dimitar Peschew (1894–1973) – und in der Kirche, wohl mit Zustimmung von Boris III., verhindert werden. Dennoch mussten Juden einen Gelben Stern als Kennzeichnung tragen, wurden enteignet und aus den Städten verbannt. Tausende jüdische Männer leisteten Zwangsarbeit in Lagern. Die Forschung rechnet mit mindestens Tausend weiteren bulgarischen Juden, die die Verfolgung im Land und im deutschen Machtbereich nicht überlebten.
Im September 1944 erklärte die Sowjetunion Bulgarien den Krieg; kurz darauf marschierte die Rote Armee ein. Die Macht im Land übernahm die von Kommunisten dominierte »Vaterländische Front« und übte Rache. Ein »Volkstribunal« verhängte in 135 Prozessen etwa 2.500 Todesurteile gegen politische Gegner, über 28.000 Menschen verschwanden spurlos.
Auch die Erinnerungskultur wurde vom neuen Regime bestimmt. Der Figur des »faschistischen« Zaren Boris III. wurde der Führer der kommunistischen Partei Bulgariens, Georgi Dimitroff (1882–1949), entgegengesetzt, um den ein ausufernder Personenkult betrieben wurde. Dimitroff hatte 1933 wegen des Reichstagsbrandes in Berlin vor dem Leipziger Reichsgericht gestanden und sich seinen Freispruch in diesem vom nationalsozialistischen Regime geplanten Schauprozess erstritten. Sein damaliger Triumph galt nach 1944 als Beleg für den langen antifaschistischen Kampf der Bulgaren; dass die einheimischen Partisanengruppen lange Zeit keine Verankerung in der Bevölkerung besaßen, drang erst nach 1991 an die Öffentlichkeit. Auch der Völkermord an den europäischen Juden und der Einsatz von Peschew für die bulgarischen Juden wurden zu kommunistischer Zeit nicht besonders hervorgehoben. Im Gegenteil: Die Partei nahm für sich in Anspruch, die »Rettung« erkämpft zu haben. Mittlerweile erinnern Gedenkorte an den Einsatz für die bulgarischen Juden; seit 2002 befindet sich in Kjustendil ein Museum für Peschew. In den Darstellungen wird jedoch der Mythos einer Nation der Retter gepflegt.
Eine differenzierte Sicht auf die Widersprüche der bulgarischen Politik gegenüber Juden im Zweiten Weltkrieg – die Haltung des Zaren, der Umgang mit ihnen in Bulgarien, die Auslieferung von Juden mit bulgarischem Pass im Ausland, der Juden aus Thrakien und Mazedonien, der Auswanderungsdruck nach Kriegsende – hat sich bislang nicht durchgesetzt.
Erinnerung
Das »Denkmal der Dankbarkeit« wurde am 10. März 1998 im ehemaligen jüdischen Viertel der Stadt errichtet. Seine hebräisch-englisch-bulgarische Inschrift lautet: »All jenen, die uns am 10. März 1943 retten halfen. Die dankbare Jüdische Gemeinde Plowdiw«. Das Denkmal wurde in Form eines Schofar, eines rituellen jüdischen Musikinstruments, von den Architekten G. Georgieff und Kr. Karakasheff entworfen. Die Skulptur stammt vom Bildhauer Atanas Karadecheff. Jedes Jahr im März findet unter Beteiligung der jüdischen Gemeinde, der Stadt und der orthodoxen Kirche eine Gedenkveranstaltung statt.