Der Piskarjowskoje-Friedhof in Sankt Petersburg (1924-1991: Leningrad) ist die zentrale Gedenkstätte für die Opfer der Leningrader Blockade durch die Wehrmacht von 1941 bis 1944. Hier wurde während der Blockade der überwiegende Teil der Todesopfer in Massengräbern bestattet. Die feierliche Eröffnung der Gedenkstätte fand am 9. Mai 1960 statt.
Geschichte
Vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944 dauerte die Blockade von Leningrad durch die deutsche Wehrmacht. Die gesamte Stadt war von Versorgung und Nachschub abgeschnitten, unzählige Menschen verhungerten und verdursteten in den fast 900 Tagen der Belagerung. Die Tötung der Zivilbevölkerung durch Aushungern war von Anfang an Strategie der Verantwortlichen der Wehrmacht und diente den Vorbereitungen zur Eroberung der Stadt.
Nur ein einziger Weg verband Leningrad mit der Außenwelt: die schon während des Krieges so genannte Straße des Lebens. Schiffe mit Proviant an Bord versorgten die Stadt über den Ladogasee. Auf dem Rückweg evakuierten sie Bewohner. Als der See zufror, übernahmen Schlittenzüge und Lastwagen die Versorgung.
Auf dem städtischen Friedhof Piskarjowskoje wurden von 1941 bis 1944 mehr als 470.000 Einwohner und 50.000 Soldaten, die während der Belagerung ums Leben gekommen waren, in Massengräbern bestattet.
Opfergruppen
Von den drei Millionen Einwohnern der Stadt Leningrad vor Kriegsausbruch erlebten nur ungefähr 700.000 die Befreiung der Stadt 1944 durch die Rote Armee. Über eine Million Menschen konnte über den Ladogasee evakuiert werden.
Insgesamt starben während der Blockade zwischen 800.000 und 1,2 Millionen Leningrader. 470.000 von ihnen sowie 50.000 sowjetische Soldaten sind auf dem Friedhof begraben.
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Russische Föderation
In der Russischen Föderation ist der 9. Mai – der Gedenktag an den Sieg der Sowjetunion im Großen Vaterländischen Krieg gegen den »Hitlerfaschismus« – der bedeutendste Feiertag, der aus der sowjetischen Vergangenheit übernommen wurde. Am 23. August 1939 hatte die Sowjetunion unter Josef Stalin (1878–1953) zunächst einen »Nichtangriffspakt« mit dem Deutschen Reich geschlossen. Beide Regime verständigten sich darin über ihre »Interessensphären« in Ostmitteleuropa und beschlossen unter anderem die gemeinsame Teilung Polens. Ab dem 22. Juni 1941 marschierten die deutsche Wehrmacht und ihre Verbündeten in sowjetisches Territorium ein. Bei Kriegsende 1945 waren auf dem besetzten sowjetischen Gebiet nach neueren Schätzungen insgesamt bis zu 28 Millionen Tote in Armee und Bevölkerung zu beklagen.
Die sowjetische Erinnerungskultur ist im heutigen Russland wieder dominierend. Ihre Sinnbilder – wie die monumentalen Denkmäler in Sankt Petersburg oder Wolgograd – sind noch immer beliebt und weiterhin Schauplatz großer Gedenkveranstaltungen am 9. Mai. Diese Erinnerungsstätten sind allerdings weniger Orte der Trauer und des Totengedenkens als vielmehr der Heldenverehrung. Der Opfer wurde lange Zeit gar nicht, später als »Opfer des Faschismus« gedacht. Die Wirkungsmacht dieser Sicht auf die Vergangenheit lässt sich beispielhaft am Konflikt um eine 1995 aufgestellte Skulptur vor dem Museum des Großen Vaterländischen Kriegs in der Hauptstadt Moskau ablesen. Das Denkmal »Tragödie der Völker« ist den etwa zwanzig Millionen zivilen Opfer der Jahre 1941 bis 1944 in der Sowjetunion gewidmet und sollte einen Wendepunkt in der Erinnerungskultur Russlands markieren. Nach heftiger Kritik an der auch in der Bevölkerung als zu pessimistisch empfundenen Aussage musste das Denkmal hinter das Gebäude versetzt werden.
Zugleich gab es aber auch nichtstaatliche Menschenrechtsorganisationen wie »Memorial«, die sich mit verdrängten Kapiteln der Geschichte beschäftigten, wie mit den Gefangenen der Roten Armee und Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg. Sie galten nach ihrer Rückkehr als Verräter, wurden pauschal der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigt und erneut in Lagern inhaftiert. Auch im Rahmen des staatlich-offiziellen Gedenkens gab es immer wieder engagierte lokale Kulturämter, die besondere Denkmäler und eine die Opfer einbeziehende Gedenkkultur durchsetzten. Dass an einigen Orten, häufig mit geringsten finanziellen Mitteln, kleine Erinnerungsstätten entstanden sind, ist oft auch dem Engagement von Privatpersonen oder von jüdischen Gemeinden zu verdanken. Etwa 100.000 sowjetische Juden auf dem Gebiet der heutigen Russischen Föderation waren nach 1941 vor allem Massenerschießungen der SS-Einsatzgruppen und ihrer Helfer zum Opfer gefallen. Zu Sowjetzeiten wurde an sie als »friedliche Bürger« erinnert. Erst seit Anfang der 1990er Jahre ging man dazu über, an offiziellen Denkmälern zusätzliche Tafeln anzubringen und die jüdischen Opfer zu benennen oder durch eine Übersetzung der Inschrift ins Hebräische ins Gedächtnis zu rufen. In Ansätzen gab es auch russische Forschung zum Holocaust. 2012 eröffnete in Moskau das auch von internationalen Experten anerkannte Jüdische Museum und Toleranzzentrum. Gleichzeitig wurde das politische Regime in Russland immer nationalistischer, in der Staatspropaganda dominiert ein offen revisionistisches Geschichtsnarrativ, das mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine noch aggressiver wurde. Währenddessen wurden wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter auch »Memorial«, massiv unterdrückt.
Erinnerung
Die beiden Leningrader Architekten A. W. Wasiljew und Ewgenij Lewinson entwarfen die Gedenkstätte auf dem Piskarjowskoje Friedhof. Die Bildhauer W. W. Isajewa und R. K. Taurit schufen die zentrale Skulptur »Mutter Heimat«. Der Bau begann 1956. Am 9. Mai 1960 wurde die Stätte feierlich eröffnet. Die 28 Hektar große Anlage umfasst ein Museum, eine Ewige Flamme, die »Große Allee«, die zur Skulptur führt, und 186 Massengräber. Die Grabplatten tragen nur die Bestattungsjahre, die Namen der Verstorbenen konnten nicht ermittelt werden. Auf der Mauer hinter der Statue »Mutter der Heimat« ist ein Gedicht von Olga Bergholz eingemeißelt, auch der berühmte Vers: »Niemand ist vergessen, nichts ist vergessen.«
Angebote
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