Erinnerung an den Leopoldstädter Tempel

Erinnerung an den Leopoldstädter Tempel


Im Wiener Stadtteil Leopoldstadt erinnern vier weiße Säulen im Originalmaßstab an die Synagoge Leopoldstädter Tempel, die während des Novemberpogroms 1938 zerstört worden war.

Geschichte

Der Leopoldstädter Tempel wurde zwischen 1854 und 1858 nach den Plänen des Architekten Ludwig Förster errichtet, zu einer Zeit, in der sich jüdisches Leben in Wien – nach den Umwälzungen der bürgerlichen Revolution von 1848 – rasant entwickelte. In den folgenden Jahrzehnten sollte sich die Anzahl von Juden in der Stadt vervielfachen, ihr gesellschaftlicher Einfluss wuchs enorm.
Auch die orientalisch anmutende Architektur des Tempels war stilbildend; so weist die heute noch stehende Synagoge in Zagreb oder der Choraltempel in Bukarest große Ähnlichkeiten mit dem Wiener Original auf. Der Innenraum, der 2.000 Besuchern Platz bieten konnte, war reichlich dekoriert. Nach einem Feuer 1917 musste die Synagoge renoviert werden.
Mit dem »Anschluss« Österreichs an das deutsche Reich im März 1938 geriet auch Wien unter die Kontrolle der Nationalsozialisten, unmittelbar darauf gab es zahlreiche Übergriffe gegen Juden. Bei den Novemberpogromen 1938 zerstörten Nationalsozialisten 42 jüdische Einrichtungen in Wien, darunter den Leopoldstädter Tempel.

Opfergruppen

Zwischen 1939 und 1945 wurden mehr als 48.000 Juden von Wien aus verschleppt. Nur 2.470 haben überlebt.

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Am 12. März 1938 rückte die deutsche Wehrmacht unter dem Jubel zahlreicher Einwohner in die Republik Österreich ein. Am folgenden Tag wurde der »Anschluss« des Landes an das Deutsche Reich proklamiert, das fortan »Ostmark« hieß. Einheimische Nationalsozialisten begannen umgehend mit der Verfolgung der jüdischen Minderheit und von Regimegegnern. Ab Mai 1938 besaßen die deutschen antijüdischen Gesetze auch im eingegliederten Österreich Gültigkeit. Bis Ende 1939 gelang über 126.000 Juden, meist aus Wien, die Flucht. Bereits im Herbst 1939 begannen erste Deportationen österreichischer Juden in das besetzte Polen. Bis 1945 verschleppte die SS fast 48.600 Juden aus Österreich und 16.600 weitere, die in anderen Ländern Zuflucht gefunden hatten, in den besetzten Osten, wo sie fast ausnahmslos ermordet wurden. Über 40.000 nichtjüdische Zivilisten fanden den Tod, darunter über 8.000 aus dem Burgenland verschleppte Sinti und Roma. 1945 teilten die Alliierten das Land in vier Besatzungszonen auf. Die sowjetische Besatzungsmacht errichtete ein »Befreiungsdenkmal« in Wien. Die Vertreter der provisorischen Allparteienregierung Österreichs aus Sozialisten, Kommunisten und Volkspartei nutzten dessen Übergabe am 19. August 1945, um Österreich als »das erste freie Land, das der Hitlerischen Aggression zum Opfer gefallen ist«, zu bezeichnen. Diese Haltung fand für Jahrzehnte breiten Widerhall in Politik und Bevölkerung. In den 1960er Jahren begannen allerdings heftige Auseinandersetzungen über die Beteiligung von Österreichern am Nationalsozialismus. Sie fanden bei einer Demonstration im März 1965 ihren Tiefpunkt, als ein rechtsextremer Student dem ehemaligen KZ-Häftling Ernst Kirchweger (*1898) tödliche Verletzungen zufügte. Kirchweger war das erste politische Todesopfer in Österreich nach 1945. In der Folgezeit wurden in der österreichischen Öffentlichkeit vermehrt Stimmen laut, die vor einer Verharmlosung der Jahre 1938 bis 1945 warnten. Mehrfach erschütterten Skandale um politisch Verantwortliche und deren Vergangenheit das Land, so während der »Waldheim-Debatte« zwischen 1986 und 1992. Der Vorwurf, der österreichische Bundespräsident und ehemalige UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim (1918–2007) sei an Kriegsverbrechen auf dem Balkan beteiligt gewesen, spaltete das Land. Waldheim konterte, er habe »wie hunderttausend andere Österreicher« lediglich seine Pflicht getan. Erst Anfang der 1990er gestand der damalige Bundeskanzler Franz Vranitzky (*1937) eine österreichische Mitschuld am Holocaust ein. Bereits 1963 nahm das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands seine Arbeit auf, das die Geschichte des Holocaust und den Rechtsextremismus in Österreich untersucht sowie eine kleine Ausstellung zeigt. Die 1970 in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen eröffnete Dauerausstellung blieb für lange Zeit fast die einzige zur Geschichte des Nationalsozialismus in Österreich. 1983 beschloss der Wiener Gemeinderat, ein »Mahnmal gegen Krieg und Faschismus« zu errichten. Das durch den Bildhauer Alfred Hrdlicka (*1928) entworfene Erinnerungszeichen wurde 1991 eingeweiht, das »Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Shoa« folgte 2000. Zeichen des staatlichen Umdenkens in Österreich sind Gesetze zur Entschädigung geraubten Eigentums, Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter sowie eine Historikerkommission, die zwischen 1998 und 2003 den Vermögensentzug während des Nationalsozialismus untersuchte. 2009 wurden ehemalige Deserteure der Wehrmacht juristisch rehabilitiert, 2014 ein Denkmal für sie eingeweiht.

Erinnerung

Das Gebäudekomplex des Leopoldtstädter Tempels bestand ursprünglich aus drei Flügeln. Im November 1938 wurde der Haupttrakt der Synagoge zerstört. Die Ruinen waren noch jahrzehntelang zu sehen, bis in den 1970er Jahren an der Stelle ein Parkplatz entstand. In den 1990er Jahren wurde das Gelände erneut bebaut und am Tor zum neuen Gebäude eine Gedenktafel angebracht. 1998 wurden dort, wo die Fassade der Synagoge stand, vier weiße Säulen im Originalmaßstab aufgestellt, die an die Größe des Tempels erinnern sollen. Das so entstandene Denkmal ist eine Arbeit des Architekten Martin Kohlbauer.
Der Südflügel und der Nordflügel blieben vorerst bestehen, wobei der Südflügel im Krieg zerstört und am Anfang der 1950er Jahre geschliffen wurde. Im Nordflügel existierte bis 1945 ein Kinderheim der Israelitischen Gemeinde, nach dem Krieg wohnten dort jüdische Rückkehrer. Seit Anfang der 1980er Jahre ist eine Talmudschule dort beheimatet.

Kontakt

Tempelgasse 3
1020 Wien