Konzentrationslager Borgo San Dalmazzo

Campo di Concentramento di Borgo San Dalmazzo


Im norditalienischen Borgo San Dalmazzo betrieben zunächst die SS, danach die italienische Polizei ein Durchgangslager. Mindestens 354 Juden wurden von dort aus deportiert, vorwiegend nach Auschwitz – mindestens 336 kehrten nicht mehr zurück. Am Bahnhof von Borgo San Dalmazzo erinnert seit 2006 ein Denkmal an die Deportierten.

Geschichte

Im November 1942 war ein Teil Südfrankreichs von der italienischen Armee besetzt worden.
Die Besatzer richteten dort eine Residenzpflicht für Juden ein, lieferten diese aber nicht an die Deutschen aus. Daher bot die Region Tausenden von jüdischen Flüchtlingen relative Sicherheit. Als sich die italienische Armee nach dem Waffenstillstand mit den Alliierten vom 8. September 1943 aus Frankreich zurückzog, flohen 800 bis 1.100 Juden mit ihr. Zu Fuß erreichten sie die Gegend um Borgo San Dalmazzo, eine Kleinstadt am Fuße der Alpen. Als jedoch deutsche Truppen am 12. September einmarschierten und in Norditalien ein faschistischer Puppenstaat, die »Italienische Sozialrepublik«, errichtet wurde, waren die Flüchtlinge auch dort nicht mehr sicher.
Eine Kompanie des 2. Bataillons der SS-Leibstandarte Adolf Hitler, das von Joachim Peiper befehligt wurde, richtete ihr Kommando in einer verwahrlosten Kaserne der italienischen Gebirgsjäger in Borgo San Dalmazzo ein. Am 18. September befahl die SS allen »Ausländern« (gemeint waren die jüdischen Flüchtlinge), sich dort einzufinden. Zunächst wurden in diesem improvisierten Polizeihaftlager 349 Flüchtlinge festgehalten. Zehn Tage später wurden auch fast alle Juden Cuneos nach Borgo San Dalmazzo gebracht, jedoch später wieder freigelassen. Mindestens 328 der Flüchtlinge aus Südfrankreich wurden am 21. November 1943 über Nizza ins Durchgangslager Drancy verschleppt und von dort später nach Auschwitz deportiert. Zwölf Tage später begannen nunmehr die italienischen Behörden, Juden aus der Gemeinde Saluzzo in Borgo San Dalmazzo festzuhalten. Sie führten den »Präfektenbefehl Nr. 5« aus, der die Enteignung und Internierung aller Juden vorsah. Die insgesamt 26 Gefangenen wurden am 15. Februar 1944 ins Durchgangslager Fossoli überstellt und die meisten von dort aus nach Auschwitz deportiert. Nur 10 bis 18 der insgesamt aus Borgo San Dalmazzo Deportierten überlebten.

Opfergruppen

Die 349 jüdischen Flüchtlinge, die in Borgo San Dalmazzo festgehalten wurden, kamen aus den verschiedensten Ländern Europas: Polen, Deutschland, Ungarn, Österreich, der Slowakei, Rumänien, Griechenland, Belgien, Frankreich, der Türkei und der Sowjetunion. Sie waren über zwei Alpenpässe in 2.400 Meter Höhe aus dem südfranzösischen Saint-Martin-Vésubie in die Provinz Cuneo, zu der Borgo San Dalmazzo gehört, gekommen. Diejenigen, die in Frankreich geblieben waren, weil die Überquerung der Alpen für sie zu beschwerlich gewesen wäre, wurden am 22. September 1943 von den Deutschen festgenommen und deportiert.
In Italien fanden einige Flüchtlinge bei einheimischen Familien Unterschlupf oder bekamen Hilfe bei der Weiterreise in sichere Gebiete. Unter der Leitung von Geistlichen war für die Flüchtlinge ein Hilfsnetzwerk eingerichtet worden. Einige wenige entgingen der Deportation am 21. November nach Drancy, vor allem Kranke, die im Krankenhaus von Cuneo behandelt und dort vom Personal versteckt wurden.
Liliana Picciotto Fargon hat die Schicksale von 326 Deportierten genau nachverfolgen können: sie verließen das Durchgangslager Drancy mit drei Transporten am 7. und 17. Dezember 1943 sowie am 20. Januar 1944 Richtung Auschwitz. Vermutlich haben nur zehn von ihnen überlebt.
Auch das Schicksal der 26 Gefangenen der italienischen Polizei ist dokumentiert. Sicher ist, dass 23 von ihnen Fossoli mit dem Transport vom 22. Februar 1944 in Richtung Auschwitz verließen, in dem sich auch der Schriftsteller Primo Levi befand. Nur zwei Überlebende sind bekannt.

Erfahre mehr über Italien

Das Königreich Italien wurde seit 1922 von Benito Mussolini (1883–1945), dem »Duce« (Führer), und seiner faschistischen Partei diktatorisch regiert. Bis Mitte der 1930er Jahre spielte Antisemitismus in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle; diskriminierende Maßnahmen wurden erst 1938 eingeführt. Zu diesem Zeitpunkt lebten über 46.000 Juden in Italien. Das italienische Staatsgebiet umfasste damals auch die Halbinsel Istrien sowie einige heute griechische Inseln, darunter Rhodos mit seiner traditionsreichen jüdischen Gemeinde. Die italienische Regierung, enger Verbündeter des Deutschen Reiches, beteiligte sich bis zum Herbst 1943 nicht an Massendeportationen von Juden in deutsche Vernichtungslager. Erst als das Land von Norden her durch die deutsche Wehrmacht besetzt wurde – der Süden war bereits durch amerikanische und britische Truppen befreit –, begann der deutsche SS- und Polizeiapparat, den Plan der systematischen Ermordung der italienischen Juden umzusetzen. Über eine Zwischeninternierung wurden die Menschen durch halb Europa nach Auschwitz deportiert, viele von ihnen unmittelbar danach in die Gaskammern getrieben. Die Zahl der ermordeten oder gewaltsam zu Tode gekommenen Juden aus Italien (ohne die italienisch besetzten Gebiete) beträgt zwischen 7.000 und 8.500 Personen. Zehntausende italienische Juden und jüdische Flüchtlinge konnten sich durch Emigration retten oder versteckten sich mit Hilfe von Nichtjuden. Über 2.000 gerieten nicht mehr in den deutschen Machtbereich, weil sie in Süditalien rechtzeitig durch die Alliierten befreit wurden. Von 1943 bis 1945 kam es in Norditalien zu heftigen Kämpfen zwischen den deutschen Besatzern und italienischen Partisanen der kommunistisch dominierten Widerstandsbewegung »Resistenza«. Die deutschen Truppen reagierten mit grausamen Vergeltungsmaßnahmen und Massakern, zum Beispiel in Marzabotto und den Ardeatinischen Höhlen bei Rom. Insgesamt fanden während des Zweiten Weltkrieges über 400.000 Italiener – Soldaten, Zivilisten und Partisanen – den Tod. Nach Kriegsende wurde der Partisanenkampf zum zentralen Aspekt italienischen Selbstverständnisses und in der Erinnerungskultur zum Mythos der eigenen Befeiung vom Faschismus. Eine Auseinandersetzung mit der weitverbreiteten Unterstützung Mussolinis im eigenen Land unterblieb meist. Die bekannten Gedenkorte, wie das frühere Konzentrationslager Risiera di San Sabba bei Triest oder die Einrichtungen in Marzabotto und den Ardeatinischen Höhlen, sind – wie auch zahlreiche Museen – dem Widerstand gewidmet. Erinnerungsstätten auf dem Gelände früherer Internierungslager für Juden sind dagegen selten und gedenken eher der Retter als der Verfolgten, wie es die Villa Emma in Nonatola zeigt, in der versteckte jüdische Kinder überlebten. Die Ausrichtung auf Menschenrechtserziehung, die auf Gegenwart und Zukunft bezogen ist, stellt das Bindeglied vieler dieser Einrichtungen dar. Mittlerweile rückt die Erinnerung an die deportierten und ermordeten Juden mehr in den Vordergrund. 2013 eröffnete die Memoriale della Shoah di Milano am Mailänder Hauptbahnhof. Die Errichtung eines zentralen Holocaustdenkmals in Rom wurde 2023 beschlossen.

Erinnerung

Das eigentliche Lagergelände blieb 20 Jahre lang in seinem ursprünglichen Zustand erhalten, bis zwischen 1964 und 1974 ein Flügel abgerissen und dort eine Schule errichtet wurde. Schüler dieser Schule schufen in den 1970er Jahren an einer Außenwand des ehemaligen Lagers ein Gemälde, das jedoch fälschlicherweise politische Gefangene darstellt. Später wurde auf dem Gelände ein weiteres Gebäude errichtet. In diesem Haus, das eine öffentliche Behörde beherbergt, befindet sich eine kleine Ausstellung zur Geschichte des Lagers. Der Platz, auf dem beide Gebäude stehen, trägt den Namen »Piazza Don Raimondo Viale«, nach dem Pfarrer von Borgo San Dalmazzo, der das Hilfsnetzwerk für jüdische Flüchtlinge leitete. Auch eine Gedenktafel und eine Stele erinnern an ihn und an die Deportierten.
Vom ursprünglichen Lager sind nur noch der Torweg und der Innenhof erkennbar. Es befand sich am Rande der Stadt, nicht weit vom Bahnhof entfernt. Dort, am Ausgangspunkt der Deportationen, wurde am 30. April 2006 ein »Deportationsdenkmal« eingeweiht. Es besteht aus einem symbolischen Bahnsteig aus Beton, auf dem Namen von Überlebenden als stehende Schriftzüge platziert sind. Auf dem Boden zwischen ihnen sind Name, Alter und Nationalität von 335 Ermordeten in Stahlplatten eingraviert. Durch die Anordnung der Namen werden Verwandtschaftsbeziehungen deutlich gemacht. Drei begehbare historische Güterwaggons ergänzen den Gedenkort.
Im Rahmen des Projekts »Die Erinnerung der Alpen« wurden zwei Wanderpfade ausgeschildert, die es ermöglichen, den Weg der Flüchtlinge über die Alpen nachzuvollziehen. Weitere Lehrpfade, in die Bahnhof und Lagergelände integriert sind, informieren über jüdisches Leben und politischen Widerstand in der Region.
Ungefähr fünf Kilometer von Borgo San Dalmazzo liegt die Ortschaft Boves, in der deutsche Truppen zwischen 1943 und 1945 insgesamt 112 Partisanen und Zivilisten ermordeten. Die »Friedensschule Boves« leistet dort Erinnerungs- und Bildungsarbeit.

Angebote

Führungen durch Lagergelände und Denkmal, begleitete Wanderungen auf historischen Lehrpfaden, Fotoausstellung, Bildungsraum für Begegnungen, Buchpräsentationen, Konferenzen

Öffnungszeiten

Nach Vereinbarung,
bitte zu folgenden Zeiten anrufen:
montags 14.00 bis 18.00, dienstags bis freitags 09.00-12.00 und 14.00 bis 18.00
samstags 10.00 bis 12.00 und 15.00 bis 17.00

Kontakt

http://www.comune.borgosandalmazzo.cn.it/citta/campo_ebrei.html

luisa.giorda@comune.borgosandalmazzo.cn.it

+39 0 171 266 080

Piazza Don Raimondo Viale
12011 Borgo San Dalmazzo