Denkzeichen zur Erinnerung an die Ermordeten der NS-Militärjustiz am Murellenberg

Denkzeichen zur Erinnerung an die Ermordeten der NS-Militärjustiz am Murellenberg


Am Murellenberg im Berliner Ortsteil Westend erinnern 106 Verkehrsspiegel an die Opfer der Erschießungen durch Exekutionskommandos der Wehrmacht. Zwischen dem 12. August 1944 und dem 14. April 1945 richteten Einheiten der Wehrmacht mindestens 230 Soldaten hin, die wegen Fahnenflucht oder »Wehrkraftzersetzung« zum Tode verurteilt worden waren.

Geschichte

Das Gebiet Murellenschlucht, bestehend aus Murellenberg, Murellenschlucht und Schanzewald, ist eine Hügellandschaft im Ortsteil Westend des Bezirks Wilmersdorf-Charlottenburg im Westen Berlins. Ab 1840 nutzte die preußische Armee das Gelände als Ausbildungsort und Schießplatz. Die Fläche blieb als Übungsplatz für das Militär bestehen, auch die Wehrmacht betrieb hier Schießübungen.
Zwischen dem 12. August 1944 und dem 14. April 1945 erschossen Exekutionskommandos der Wehrmacht mindestens 230 Soldaten am Murellenberg. Die Soldaten waren zuvor von Sondergerichtshöfen der Kriegsgerichtsbarkeit, vorwiegend vom Reichskriegsgericht, wegen Fahnenflucht oder »Wehrkraftzersetzung« zum Tode verurteilt worden. Der genaue Ort der Exekutionen ist nicht mehr feststellbar. Zeugen gehen von einem Bereich in der Nähe eines ehemaligen Lagerschuppens auf dem militärischen Sperrgebiet als Tatort aus. Eine Untersuchung von Luftbildaufnahmen ergab, dass auch eine nahegelegene Sandgrube als Ort der Erschießungen in Frage kommt.

Opfergruppen

Von den Opfern der Erschießungen am Murellenberg sind etwa 230 namentlich bekannt. Die tatsächliche Zahl der Hingerichteten dürfte allerdings höher liegen. Die Opfer waren vorwiegend einfache Soldaten, aber auch einige Offiziere und zwei Generäle waren unter den Exekutierten.

Erfahre mehr über Deutschland

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die staatliche Verfolgung der Gegner des Regimes, von Juden, als »Zigeuner« bezeichneten Roma, Patienten sowie zahlreichen anderen Gruppen. Antisemitismus wurde erstmals Bestandteil der Regierungspolitik eines modernen Staates, die Verfolgung aller Gruppen schrittweise verschärft. Dabei griffen staatliche Verordnungen, Gewalttaten von Anhängern des Regimes und die Hetze der Presse ineinander. Der Terror gegen Juden im November 1938 (»Kristallnacht«) mit etwa hundert Toten bildete den Scheitelpunkt hin zur vollständigen Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Minderheit. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 gerieten weite Teile Europas unter deutsche Herrschaft. Insbesondere im Osten entstand ein vielgliedriges System von Lagern und Mordstätten, in dem die SS bis zu sechs Millionen Juden, unter ihnen etwa 165.000 deutsche Juden, ermordete. Die Zahl der übrigen Deutschen, die in Folge des Krieges ihr Leben verloren, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, darunter fast 3,5 Millionen Zivilisten. Etwa 28 Millionen Einwohner der besetzten Sowjetunion (Soldaten und Zivilbevölkerung) und drei Millionen nichtjüdische Polen kamen gewaltsam zu Tode; an sie wird in Deutschland bis heute kaum erinnert. Deutschland wurde 1945 von den Alliierten besetzt; 1949 entstanden die Deutsche Demokratische Republik (DDR) und die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit sehr unterschiedlichen Gedenkkulturen. In der DDR dominierte die Selbstinterpretation als »antifaschistischer« deutscher Nachfolgestaat. Die Orte der ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen wurden zu »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« und stellten vor allem den kommunistischen Widerstand dar. In der Bundesrepublik dominierte zunächst die Erinnerung an die Opfer der alliierten Bombenangriffe, von Flucht und Vertreibung. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung, den Holocaust oder den Widerstand war einzelnen Gruppen überlassen, Täter und Tatbeteiligungen – außerhalb juristischer Prozesse – kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Das änderte sich ab Mitte der 1960er Jahre, als nach intensiver Debatte die Verjährung für Mord aufgehoben wurde. Gleichzeitig entstanden Erinnerungsstätten an Orten ehemaliger KZ (1965: Dachau und Neuengamme; 1966: Bergen-Belsen) und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1968 in West-Berlin. Erst in den 1980er Jahren entwickelte sich durch lokale Initiativen eine vielfältige, oft kleinteilige Erinnerungslandschaft. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden eine gesamtstaatliche Gedenkstättenkonzeption entwickelt und Orte der Erinnerung umfangreich überarbeitet. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin konnte 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Eine umfangreiche Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer Täter, die Topographie des Terrors, wurde im Mai 2010 eröffnet; das Ausstellungszentrum »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« folgte 2021. Mittlerweile erinnern zentrale Denkmäler in Berlin auch an weitere Opfergruppen: An die ermordeten Sinti und Roma, an die Opfer im Rahmen der NS-»Euthanasie« ermordeten Patienten und an die verfolgten Homosexuellen. Die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in den früheren Ostgebieten fielen nach Kriegsende einem doppelten Vergessen anheim. Die Erinnerung blieb für Jahrzehnte auf landsmannschaftliche Verbände in der BRD beschränkt und schloss die Zeit von 1933 bis 1945 meist aus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nehmen sich jedoch deutsche, polnische, litauische und russische Initiativen auch dieses Teils der deutschen Vergangenheit an.

Erinnerung

Nach dem Krieg nutzte die britische Armee das Gebiet weiter als militärischen Übungsplatz. Im Wald wurde ein Dorf zur Erprobung des Häuserkampfs errichtet. Bis zum Abzug der Briten 1994 blieb das Gelände für die Öffentlichkeit unzugänglich. Danach bildete sich eine Bürgerinitiative zur Errichtung eines Denkmals für die Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz, weite Teile des Geländes blieben jedoch Sperrgebiet und wurden als Übungsgelände von der Polizei übernommen. Im November 2000 lobte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung einen Wettbewerb zur Gestaltung eines Denkmals aus. Das von der Künstlerin Patricia Pisani gestaltete »Denkzeichen« wurde 2002 eingeweiht: Es besteht aus 106 Verkehrsspiegeln, die den Waldweg entlang von der Waldbühne bis zum nördlich gelegenen vermutlichen Erschießungsort aufgestellt sind. Der vermutliche Ort der Hinrichtungen selbst ist allerdings nicht zugänglich, da das Gelände weiterhin von der Polizei genutzt wird. Einige der Spiegel tragen eingravierte Zitate. Ein weiterer Verkehrsspiegel steht in der Witzlebenstraße 4-10 in Berlin-Charlottenburg vor dem Gebäude des ehemaligen Reichskriegsgerichts, das viele Todesurteile gegen Deserteure fällte.
Patricia Pisani begründete die Wahl von Verkehrsspiegeln als Gestaltungsmittel des Denkzeichens so: »Verkehrsspiegel werden im Straßenverkehr an einer Gefahrenstelle aufgestellt. Sie sollen einer Gefahr vorbeugen, indem sie etwas sichtbar machen, was außerhalb des Blickfeldes liegt. Sie zeigen, was um die Ecke passiert, eine Gefahr oder eine Bedrohung, die sich an einer unübersichtlichen Stelle möglicherweise nähert, aber noch nicht zu sehen ist. Sie zeigen etwas, vom momentanen Standort aus nicht sichtbares: um die Ecke, in die Vergangenheit, in die Zukunft«.

Öffnungszeiten

jederzeit zugänglich

Kontakt

http://www.denkzeichen-am-murellenberg.de

Glockenturmstraße
14053 Berlin